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Ins Leben zurückgerufen

Ins Leben zurückgerufen

Titel: Ins Leben zurückgerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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hängte und seinen Triumph über Privilegien und Privatschule herumposaunte. Statt dessen nutzte er seinen noch immer wachsenden Reichtum dazu, sich einen Platz in den Clubs und Gremien der Oberschicht zu erkaufen und deren Manieren und Sitten bis zur Parodie zu kultivieren. Am meisten haßte er es, daran erinnert zu werden, daß sein blühendes Geschäftsimperium auf dem Erfolg seiner allerersten Unternehmung ruhte, nämlich Stampers Gummiartikeln aus Sheffield. Ich glaube, in einigen Gegenden Yorkshires werden Kondome noch immer als Stampers bezeichnet, und natürlich hatte er gemischte Gefühle, als man ihn mit dem Oberschichtspitznamen Noddy, kleiner Jasager, bedachte.
    Meine Mutter war ein völlig anderer Mensch. Von den drei Amerikanerinnen (die beiden anderen waren Pam Westropp und Cecily Kohler) kam sie aus der besten Familie, da sie nichts weniger als eine Bellmain aus Virginia war. Näher hatte sich mein Vater in jungen Jahren nicht an die Aristokratie herangetraut. Doch trotz ihrer Abstammung und Erziehung hatte meine Mutter sich eine ansprechende, natürliche Art bewahrt, und im Ausland war sie die reinste Unschuld und betrachtete alles mit großen Augen. Ihre unaffektierte Begeisterung brachte meinen Vater häufig in Verlegenheit, doch er war der einzige, der sich daran störte. Da sie wußte, wo ihre wahre Heimat war, war sie überall zu Hause.
    Ein ganz anderer Typ Amerikaner war der junge Scott Rampling. Im großflächigen Stadtgebiet von Los Angeles geboren, konnte er es kaum erwarten, die rosige Zukunft zu verwirklichen, die, wie er nicht bezweifelte, vor ihm lag. Er hatte Mickledore bei einem seiner zahlreichen Besuche bei den Westropps in Washington kennengelernt und die Bekanntschaft aufgefrischt, als er 1961 nach London versetzt wurde. Nach den sensationellen Ereignissen jenes Wochenendes verschwand er mit einem Tempo vom Tatort und aus dem Land, das nicht anders als unanständig bezeichnet werden kann, und die Seltenheit, mit der sein Name in den Zeitungsberichten über den Fall und während des Prozesses erschien, läßt ein beträchtliches Abrufen von transatlantischen Gefälligkeiten vermuten.
    Die Partridges waren so englisch, wie Rampling amerikanisch war. Der Familie gehörte ein gut Teil der North Riding, was sich so erklärt, daß sie im 17. Jahrhundert statt der Grafenkrone lieber Land als Dank für ihre Loyalität zu den Stuarts und im 18. Jahrhundert gegen die Stuarts entgegengenommen hatte. Erst als sich Thomas Partridge aus der aktiven Politik zurückzog, wurde endlich ein Partridge geadelt, obwohl der edle Lord in seiner lebendigen Autobiographie zugibt, daß auch ihm Land lieber gewesen wäre, wenn es denn noch zur Disposition gestanden hätte. 1955 war er als Vertreter der Konservativen für den Wahlbezirk, der sich so ziemlich mit seinem Grundbesitz deckt, aufgestellt worden. 1963 war er ein junger Minister im Kriegsministerium, von dem viele dachten, daß er beim nächsten neuen Mischen der Karten befördert würde. Doch dann stürzte der Himmel ein. Er stand seinem unmittelbaren Vorgesetzten und langjährigen Mentor John Profumo zu nahe; sein Name tauchte in dem riesigen Gerüchteeintopf, der den Frühling lang um Westminster brodelte, immer wieder auf, und nun hatte der arme Partridge nur noch eines im Sinn: seinen Kopf nicht über den Rand des Hexenkessels hinausragen zu lassen.
    Seine Frau Jessica, geborene Herdwick, fünfte Tochter des Grafen von Millom, war eine ungeheure Pferdenärrin, die mit großem Geschick sowohl siegreiche Jagdpferde züchtete als auch gutaussehende Kinder. Ihr fünftes (Kind) war an jenem Wochenende schon weit gediehen.
    Das Kindermädchen der Partridges, Miss Mavis Marsh, verfügte über jede Qualifikation und Qualität, die man damals an Vertreterinnen ihres Berufs bewunderte. Sie war Mitte Dreißig, an die 1,70 m groß, wirkte aber in ihrer makellos gestärkten Uniform noch größer, weil sie sich immer kerzengerade hielt und auch in Fragen der Etikette, Sprache, Pünktlichkeit, Integrität und sogar der Ernährung unnachgiebig war. Wenn Miss Marsh am Tisch saß, wäre niemand von uns auf die Idee gekommen, die Brotrinde liegen zu lassen.
    Das andere Kindermädchen, Cecily Kohler, war ganz anders. Sie war mehr wie eine große Schwester denn die Vertreterin der göttlichen Vorsehung. Sie trug keine Uniform, sondern lief manchmal sogar in Jeans herum, die damals noch nicht das universelle Kleidungsstück waren, das sie dann geworden sind. Wenn

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