Ins Leben zurückgerufen
betreffend. Du habest ihn in der Nacht mit schlimmen Zahnschmerzen angerufen, und es könnte sein, daß du etwas später kommst, weil du zum Zahnarzt mußt. Dein Zahnarzt ist also in Harrogate?«
Soviel zu der versprochenen Vertretung. Es war zum Heulen. Andererseits – jemand, der eine kranke Großmutter vorschützte, hielt einen Zahnarzttermin wahrscheinlich für Genialität pur.
Er sah auf seine Uhr. Er würde zu spät zu dem Lord kommen und somit nicht nur unaufrichtig, sondern auch noch unhöflich sein. Einer gutgläubigen alten Kinderfrau etwas vorzumachen war eine Sache, aber was er nun vorhatte, war wirklich ein Spiel mit dem Feuer. Dalziels überraschender Gedankensprung zurück in epische Zeitalter kam ihm in den Sinn. Was hatte Äneas denn nun eigentlich bei sich gehabt, damit er die Unterwelt betreten und wieder verlassen konnte? Einen goldenen Zweig, ja, das war’s.
»Bist du noch dran?« fragte Wields Stimme an seinem Ohr.
»Ja. Aber ich sollte längst woanders sein«, sagte Pascoe. »Bis später.«
Er trat aus der Telefonzelle. Auf der Straße war weit und breit kein Baum zu sehen, obwohl sie irgendwas mit Hain hieß. Aber er konnte ein Schild ausmachen, auf dem »Buchladen zum Hain« stand. Er hatte einmal gelesen, man könne sich eines freundlichen Empfangs sicher sein, wenn man sich einem Schriftsteller mit dem Kopf seiner Großmutter in der einen und seinem neuesten Buch in der anderen Hand nähere.
Im Laden hieß es, ja, man habe ein Exemplar von
Im Birnbaum
da, es koste 12,95 Pfund, nein, die Taschenbuchausgabe sei noch nicht erschienen, es sei zu einer unerklärlichen Verzögerung gekommen.
Mit einem Stöhnen legte Pascoe das Geld hin. Wie die meisten gebildeten Engländer erlitt er Folterqualen, wenn er sich angesichts voller Bibliotheken eines Buches wegen von Geld trennen mußte.
Zwei
»Ist Eure Hand stetig genug, um zu schreiben?«
»Sie war es, als Ihr hereinkamt.«
E twa 250 Meilen weiter südlich sah sich Superintendent Dalziel ebenfalls mit den Kosten der Literatur konfrontiert.
Er las so gut wie keine Krimis, doch die Werbung hatte bei ihm den Eindruck hinterlassen, als gebe es in dem Genre noch mehr Queens, als König Salomo sie hatte. Als er also bei William Stamper in St. John’s Wood auf den Klingelknopf drückte, war er innerlich auf jedes Geschlecht gefaßt und wäre auch über eine Tunte nicht bestürzt gewesen.
Doch die Tür wurde von einem stämmigen Mann in einem abgeschabten wollenen Morgenrock geöffnet, dessen unrasiertes Gesicht – wie Dalziels erfahrener Blick sogleich erfaßte – von einem gewaltigen Kater fahl und verquollen war.
»Guten Morgen, mein Junge. Möchtest du eine Zigarette, oder ist dir noch immer eine Pfefferminzkugel lieber?«
»Tut mir leid …«, erwiderte Stamper heftig blinzelnd. Als er seine Augen wieder offen hatte, sah er nichts als Luft vor sich. Irgendwo hinter ihm ertönte Dalziels Stimme: »Wenn das vom Schreiben kommt, würde ich damit aufhören und mir richtige Arbeit suchen. Geht es hier in die Küche? Nach Ihrem Anblick zu urteilen, brauchen Sie mindestens so dringend einen Kaffee wie ich. Sind Sie schon mal Intercity gefahren? Sobald man die Tasse an den Mund hebt, fährt er über ein Hindernis, und der Inhalt landet hinter der Schulter. Wahrscheinlich sowieso der beste Ort für das Zeug.«
»Wer zum Teufel sind Sie?«
»Haben Sie mich denn schon vergessen?« fragte Dalziel erstaunt. Er hielt inne, Instantkaffee in Halbliterbecher zu häufen, und holte seinen Ausweis hervor. »Detective Superintendent Dalziel. Doch Sie dürfen mich Onkel Andy nennen.«
»Herr im Himmel! Die Pfefferminzkugeln! Sie sind das … nur daß Sie sich gewaltig vermehrt haben.«
»Ja, wie heißt es so schön, je lustiger, je mehr. Sie haben aber auch einen Satz gemacht. Ich hätte Sie nicht wiedererkannt, mageres Jüngelchen, das Sie mal waren. Haben Sie nichts, was man hier reintun könnte?«
»Milch, meinen Sie?«
Dalziel runzelte die Stirn: »Es ist nicht ratsam, einem Mann in Ihrer Verfassung Milch zu geben. Da gerinnt Ihnen ja der Magen. Ich stehe ganz auf homosexuelle Medizin.«
Stamper starrte ihn an und sagte dann: »Homöopathisch, meinen Sie?«
»Ja, ganz richtig. Den Teufel mit Beelzebub austreiben. Schon in Ordnung. Habe bereits gefunden, was ich suche.«
Wenn er es tatsächlich gesehen hatte, dann mit einem keltischen dritten Auge, denn er wanderte ins Wohnzimmer zum Schreibtisch, stellte die Henkelbecher auf einem
Weitere Kostenlose Bücher