Ins Leben zurückgerufen
Manuskriptstapel ab, öffnete eine der Schubladen und holte eine halbvolle Flasche Teacher’s hervor. Er goß eine sorgfältig berechnete Menge in die beiden Becher.
»Genug, um ihn zu schmecken, aber keinen Tropfen zuviel«, sagte er. »Nun, wie ist es Ihnen ergangen, Klein William?«
Stamper trank und schüttelte den Kopf. Nicht verneinend, sondern auf der Suche nach einem klaren Gedanken.
Er sagte: »Nun mal ganz langsam. Klein William bin ich schon seit Gott weiß wie lange nicht mehr, und Sie waren auch nie Onkel Andy. Kriegen wir also die Dinge in die rechte Perspektive. Was zum Teufel wollen Sie von mir, Superintendent?«
»Das weiß ich selbst nicht so genau. Ich bin in King’s Cross ausgestiegen und hab überlegt, wo ich einen Kaffee trinken und mal pinkeln gehen könnte, und da lagen Sie nahe.«
»Und wieso hatten Sie meine Adresse?«
Dalziel erwiderte: »Haben Sie denn meine Weihnachtskarten nicht bekommen? Nein, nun mal im Ernst, Ihre Sendung über den Mord war gut. Damals hat man allerdings die Urteile noch anerkannt. Inzwischen ist Cissy Kohler auf freiem Fuß.«
»Und?«
»Hat Sie das nicht überrascht? Ich meine, Sie haben den Fall doch gründlich recherchiert. Sind Sie über irgendwas gestolpert, bei dem Sie gedacht haben, na, das ist aber komisch?«
Stamper schüttelte den Kopf, zuckte zusammen und sagte: »Nein, aber in der Sendung ging es ja auch um eine Retrospektive, nicht um eine Untersuchung des Falls.«
»Ach ja? Aber nun wissen Sie, daß Sie was übersehen haben. Das muß Sie doch stören.«
»Nicht besonders«, sagte Stamper. »Zugegeben, als Waggs Verbindung mit mir aufnahm, hab ich mich gefragt, ob ich vielleicht eine Gelegenheit verpaßt habe, ein bißchen Medienruhm abzusahnen, aber ich konnte nicht mit ehrlichem Gewissen so tun, als hätte ich als erster den Riecher gehabt.«
»Mit Waggs haben Sie also gesprochen? In seiner Sendung habe ich Sie aber nicht gesehen.«
»Sinnlos«, sagte Stamper. »Was hätte ich schon groß zu sagen gehabt?«
»Ein kleiner Junge, der sich hinter einem Vorhang versteckt und die Erwachsenen belauscht? Derselbe kleine Junge entdeckt die Kohler, wie sie mit vor Blut triefenden Händen herumirrt? Nun halten Sie aber mal den Ball flach! Bei solchen Referenzen hätten die Fernsehheinis bestimmt jede Menge Geld lockergemacht, nur um Sie furzen zu hören! Wie geht es übrigens Ihrem Vater?«
»Was?«
»Arthur Stamper. Sir Arthur, ich bitte um Entschuldigung. Einer von Maggies Rittern. Verdienste um die Wirtschaft, nicht wahr?«
»Verdienste um sich selbst«, knurrte Stamper. »Wie es ihm geht, weiß ich nicht. Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit … langem.«
»Nein? Ja, das paßt, wenn man den Alten so wenig ausstehen kann …«
»Langsam …«
»Sie brauchen sich nicht zu zieren. Nur, wenn Sie ein Geheimnis für sich behalten wollen, dürfen Sie es nicht auf den Hörfunkfrequenzen publik machen.«
Stamper nahm wieder einen Schluck und sagte: »War es so offensichtlich?«
»Ein Tauber in einer Schmiede hätte es nicht gehört.«
»Er hat mich ernährt, hat mich gekleidet, hat für meine Schule und Ausbildung bezahlt, hat mir all die Privilegien verschafft, die er selbst hatte entbehren müssen, und hat mir nie verziehen, daß ich nicht das geworden bin, was er gern gewesen wäre. Solange ich es stilgerecht gemacht hätte, hätte ich in Saus und Braus leben können – aus Eton fliegen, von Oxford verwiesen und bei den Guards kassiert werden können, so in der Art. Dann wäre er selig gewesen. Statt dessen habe ich im Internat Trübsal geblasen. Meine Leistungen waren schließlich so miserabel, daß die Lehrer froh waren, als meine Mutter mich abgemeldet hat. Ich hatte Angst vor Pferden, haßte es, auf die Jagd zu gehen, brach in Tränen aus, wenn ein Tier erschossen wurde, und versteckte mich hinter den Röcken meiner Mutter, wenn er sich mir näherte. Also hat er es an ihr ausgelassen. Falls ich ihn hasse, dann ebensosehr ihret- wie meinetwegen. Aber ich hoffe, daß meine Gefühle ein ganzes Stück vor dem Haß haltmachen. Nennen wir es eine lebhafte Verachtung.« Er lachte. »Gott allein weiß, warum ich Ihnen das alles erzähle.«
»Vaterfigur«, sagte Dalziel selbstgefällig. »Sie hoffen, daß ich Sie in den Arm nehme und Ihnen eine Pfefferminzkugel gebe. Und Ihre Frau Mama? Wie geht es der?«
»Sie hat sich von ihm scheiden lassen, wie Sie wahrscheinlich wissen«, entgegnete Stamper kurz angebunden.
»Wann war
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