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Ins Leben zurückgerufen

Ins Leben zurückgerufen

Titel: Ins Leben zurückgerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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einsetzte, war der Schluß, zu dem Cissy schließlich kam. Auf Bedauern oder Vorfreude verschwendete er sie nicht. In der Stadt fesselten ihn Vergnügungen und Geselligkeit so sehr, daß man sich nur schwer vorstellen konnte, wie er Monate damit verbracht hatte, glücklich und zufrieden sein Gut in Yorkshire zu verwalten. Auf dem Land hatte er den Eindruck eines Mannes gemacht, der lieber eine Meile in einem Schneesturm zurücklegt, als ein paar Meter entlang Piccadilly zu schlendern.
    Es war nicht überraschend, daß seine große sexuelle Energie denselben Regeln gehorchte. Er gönnte sich sein Vergnügen, egal, wo er sich aufhielt. Das hieß jedoch nicht, daß er nicht wahrer Treue und Zuneigung fähig gewesen wäre. Seine Frau würde wahrscheinlich die meiste Zeit so tun müssen, als wäre sie blind. Eine Frau, die dazu bereit war, hatte jedoch durchaus Chancen, auf Dauer erfolgreich mit ihm zusammenzuleben. Das sagte Cissy sich, und an diesem dünnen Faden hing ihre Hoffnung auf ein dauerhaftes Glück.
    Doch das war Zukunftsmusik. In der Gegenwart reichte es ihr, jede Freude, die sich ihr bot, mit beiden Händen zu ergreifen und sich jede Anspielung auf die Träume zu verkneifen, die ihren Schlaf erfüllten und in denen ihr Geliebter nur für sie allein lächelte und keine Rivalin mehr da war, die die Freude ihres Friedens bedrohte.
    Und wie sie so träumte, glitt ihr Traum einmal mehr zu den tönernen Füßen, auf denen ihr perfektes Glück stand, und sie sah den starren Blick und das viele Blut …
    Sie schrie laut auf und wurde so jäh ins Bewußtsein katapultiert, daß sie sich kerzengerade im Sessel aufsetzte.
    Aber nichts stimmte. Sie war nicht in der Wohnung der Westropps in Kensington, bei Emily und Pip im winzigen Kinderzimmer. Und sie war auch nicht in dem schmalen Bett in der Zelle, die Jahrzehnte ihr Zuhause gewesen war …
     
    Entsetzt sah sie auf den Fremden neben sich und zuckte zurück, als er ihr die Hand auf den Arm legte.
    Er sagte: »Cissy, ist alles in Ordnung? Tut mir leid, daß ich dich wecken mußte, aber wir sind im Landeanflug. Du mußt den Gurt anlegen.«
    Sie wandte den Kopf ab und sah aus dem Fenster. Weit unter ihr lag ein Gesprenkel von Hochhäusern, wie in einem Kinderbuch.
    »Da wären wir«, sagte Jay Waggs. »Im Land der Tapferen und in der Heimat der Freien.«
    »Ich kann nur hoffen, daß man mich reinläßt«, erwiderte Cissy Kohler.

Sieben
    »Ich bin begierig … Euer Gutachten über einen merkwürdigen Fall zu hören …«
    A ls es an jenem Abend sechs wurde und Dalziel noch immer nicht aufgetaucht war, fuhr Pascoe nach Hause. Dort ging er gleich zum Telefon und wählte die Nummer seiner Schwiegermutter.
    Ellie war sofort am Apparat.
    »Wie läuft’s?« fragte er.
    »Heute morgen fand ich sie in der Küche. Sie starrte in die Nische, wo der Boiler für die Zentralheizung hängt. Sie sah vollkommen verwirrt aus.«
    »Vielleicht hat der Boiler ein merkwürdiges Geräusch gemacht. Das tun sie alle!«
    »Nein! Sie war kurz davor, in Panik auszubrechen, Peter. Dann fiel es mir wieder ein. Als ich klein war, befand sich dort die Speisekammer. Das war, bevor die Küche vergrößert wurde. Sie hatte einen Milchkrug in der Hand. Sie war zur Speisekammer gegangen, um eine Flasche Milch zu holen.«
    »Eingefahrene Gewohnheiten wird man so schnell nicht wieder los. Ich stelle auch noch immer den Scheibenwischer an, wenn ich nach rechts abbiegen will, dabei habe ich das Auto schon seit drei Jahren.«
    »Du bist genauso hilfreich wie ein Arzt«, schnappte Ellie.
    »Hast du denn mit ihrem Arzt gesprochen?«
    »Heute nachmittag. Reine Zeitverschwendung. Der alte Myers ist, kurz nachdem Paps ins Heim gekommen ist, in Ruhestand gegangen. Seine Nachfolgerin klingt wie eine Schülerin, die Kleinkindern einen Vortrag hält.«
    »Du liebe Güte«, sagte Pascoe. »Und was hat sie gesagt?«
    »Daß man sich bei alten Menschen auf einen gewissen Grad von Verwirrtheit einstellen müsse, wobei sie hinzufügte, meine Mutter habe ja ziemlich lange gewartet, bis sie mich hatte – als ob ihre Gesundheitsprobleme meine Schuld wären. Mutter sei wegen verschiedener spezifischer Erkrankungen in Behandlung, von denen aber keine unmittelbar lebensbedrohlich sei, und daß senile Demenz, wie ich durch Paps wisse, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht heilbar sei. Kurz, eine Harke.«
    »Vielleicht zieht sie es ja auch nur vor, ihre Diagnose selbst zu stellen«, sagte Pascoe.
    »Du warst dabei? Komisch, hab

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