Ins Leben zurückgerufen
ihren Sprechfunk aufmerksam geworden. Mit »Hotelgast ausgeraubt« hätte man wahrscheinlich niemanden hinter dem Ofen hervorgelockt, doch »Britischer Tourist macht Hotelräuber fertig« war an einem ruhigen Abend ein paar Zeilen wert. Dummerweise erinnerte sich jemand, der die Verhaftung am Flughafen mitbekommen hatte, an Dalziels Namen. Das hatte dazu geführt, daß man die beiden Ereignisse so albern groß herausbrachte.
Doch er hatte Erfahrung, wie man journalistischen Unfug im Keim erstickte. Man trat dem Täter mit einer jovialen Drohgebärde entgegen und legte ihm nahe, daß Leben, Freiheit und die Jagd nach dem Pulitzer seine Gegenwart anderswo erforderlich machten.
Zehn Minuten später betrat er das Foyer mit dem zuversichtlichen Schritt eines Löwen, der weiß, daß er nur einmal laut das Maul aufzureißen braucht, um einen Platz am Wasserloch zu sichern.
Fünf Minuten später kam ihm der Gedanke, daß er wohl noch unter der Zeitverschiebung leiden müsse. Er hatte ganz einfach vergessen, wo er war. Was in Mid-Yorkshire eine Drohung war, war hier nur eine Story, die gut zog. Und als man erst einmal gemerkt hatte, daß man einem echten Original auf die Spur gekommen war, feuerte man ihn an, um so lauter zu brüllen. Er ertappte sich dabei, wie er sie anflehte.
»Nun hört mal, Jungs, ich will nichts weiter als einen strammen Max und einen großen Humpen Tee, und dann mache ich mich ernsthaft ans Besichtigen …«
»Einen strammen was? Einen was Tee? Welche Sehenswürdigkeiten wollen Sie sich ansehen, Mr. Dalziel? Hätten Sie einen Rat, wie man die U-Bahn wieder sicher machen könnte? Wie wär’s mit einem mitternächtlichen Spaziergang durch den Central Park? Würden Sie sagen, daß Sie das Abenteuer suchen, oder geschehen die Dinge einfach, sobald Sie auftauchen?«
Er hatte den Kerl wiedererkannt, der ihm den ganzen Ärger eingebrockt hatte, und überlegte gerade allen Ernstes, wie der Typ wohl mit einer eingebeulten Nase aussehen würde, als eine leise Stimme an seinem Ohr sagte: »Sie müssen am Verhungern sein. Ich weiß, wo es den besten Frühstücksspeck in ganz New York gibt.«
Er fühlte einen sanften Druck auf dem Arm, ließ sich davon leiten und wurde im nächsten Augenblick durch eine Drehtür auf den vollen Bürgersteig katapultiert.
Es stellte sich heraus, daß seine Führerin eine gutaussehende junge Schwarze mit einem strahlenden Lächeln war, bei dem sie etwas mehr Zähne zeigte, als in Yorkshire die Norm war. Sie brachte ihn zu einem Lokal, das er als Fernfahrerimbiß eingestuft hätte, wären an der Theke nicht jede Menge Männer und Frauen in eleganten Anzügen gestanden, die etwas erstanden, was sich Kaffee-zum-Mitnehmen nannte und in einer braunen Packpapiertüte verkauft wurde, wie er sie von illegalem Sexmaterial kannte. Seine Führerin steuerte ihn in ein Abteil, dessen Tisch so schmal war, daß man nicht einander gegenübersitzen konnte, ohne die Beine ineinanderzuschieben.
Es schien ihm geraten, sich total zu entspannen und an England zu denken.
»Sehen Sie etwas, worauf Sie Lust verspüren?« fragte ihn die Frau.
Sie schnurrte mit tiefer, kehliger Stimme durch volle, leicht feuchte Lippen, hinter denen Zähne schimmerten, die ihn an eine Kettensäge beim Durchschneiden einer Mango erinnerten.
Er sagte: »Äh?«
»Sehen Sie etwas, was Sie gern zum Frühstück hätten?«
Er senkte den Blick auf eine Speisekarte, die so groß und unergründlich wie der Rosette-Stein war.
»Wenn ich meinen Vorschmecker nicht dabeihabe, lege ich Wert darauf zu wissen, mit wem ich esse.«
»Ich bin Linda Steele«, erwiderte sie.
»Ja, aber
was
sind Sie? Journalistin?«
»Schriftstellerin. Ich arbeite freiberuflich. Ich mache alles, was mir über den Weg läuft, Sonderbeiträge, Reportagen, Recherchen. Ab und an gelingt es mir, etwas zu veröffentlichen. Ich helfe auch anderen bei ihren Projekten. Ich habe einiges für das Fernsehen gemacht. Haben Sie den Dokumentarfilm von Columbia über die Aufstände in Washington gesehen …?«
»Junge Frau, es hat keinen Zweck, mich mit dem Fernsehen beeindrucken zu wollen. Daheim hinke ich so weit mit
Dallas
hinterher, daß manche Leute schon tot sind, die noch gar nicht geboren wurden. Was wollen Sie also von mir, Linda Steele?«
»Ihnen Frühstück spendieren.«
»Dagegen habe ich nichts einzuwenden. Kann ich Speck und Eier kriegen? Himmel und Erde wird’s hier ja wohl nicht geben.«
»Himmel … was?«
»Macht nichts. Ich mag meinen
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