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Ins Nordlicht blicken

Ins Nordlicht blicken

Titel: Ins Nordlicht blicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Franz
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verstummte. Tausende von Polarhunden gab es dort, manche an Ketten angebunden, wild und wütend. Doch Ajakos Hunde, kleine stämmige Spitze, waren nicht angekettet, er hatte ein großes Gehege für sie gebaut, wo sie im Schnee lagen, zusammengerollt wie Katzen. Ajako hatte die Hunde ausgesucht und sie vor die Schlitten gespannt und Kirsten, Aqqaluks Tante, hatte uns Felle gebracht und uns wie die Babys in den Schlitten verpackt. Ajako und Kirsten stellten sich hinten auf die Schlitten, riefen »Go!«, die Hunderannten los, als wären sie wahnsinnig geworden, und ich musste die Augen zukneifen, weil der Wind und die Kälte mir fast die Augäpfel verbrannten. Die Stunden, in denen wir unterwegs waren, verschmolzen zu einem unwirklichen Traum. Obwohl die Sonne nicht aufging, war es nicht dunkel, denn die vom Mondlicht beschienene Schneedecke um uns herum schuf ihre eigene Helligkeit.
    Ein paarmal machten wir eine Pause, damit sich die Hunde ausruhen konnten, wir tranken heißen Tee und Aqqaluk und ich liefen durch einen Nebel aus Eiskristallen über den harten Schnee, einem Polarfuchs hinterher. »Ihr habt ihn verjagt«, sagte Ajako, »er hat das wärmste Fell, das die Natur für uns bereithält.« Aqqaluk hielt die Augen auf, um den Fuchs wiederzufinden, aber ich war froh, dass er in der weißen Landschaft nicht mehr zu sehen war und Ajako ihn nicht erschossen hatte. Ich schlief tief, als wir schließlich in einem Dorf anhielten, bei anderen Verwandten von Aqqaluk, in deren Haus wir die Nacht verbrachten, alle zusammen in einem Zimmer mit Robbenfellen auf dem Boden. Ich hörte den leisen Gesprächen der Erwachsenen zu, die sich darüber beklagten, dass das Jagen schwerer geworden war, weil sich die Eisbären zurückzogen und weil die Schneemobile auf dem Eis einsanken, sila assallattoq , sagten sie und ich wollte wissen, was das bedeutete. Doch Kirsten zog mir das Fell bis zum Kinn und schüttelte mich sanft an der Schulter. »Schlaf ein, Pakku.« Das Schnarchen der Männer vermischte sich mit dem Heulen der Hunde draußen und hielt mich lange wach. Durch das Fenster sah ich MillionenSterne am Nachthimmel und noch im Einschlafen spürte ich das Gleiten des Schlittens und sah noch immer die unendliche Schneelandschaft, die sich von Horizont zu Horizont spannte. Das Letzte, was ich mit in den Schlaf nahm, war ein Lied, das eine der Frauen leise sang, erniutinnguarput sinittunnguuniarit, aqagu anaanap pisuttuaqatigissavaatit ...
    »Bis zum Gunnbjørnsfjeld bist du aber noch nie gekommen, oder? Da wärt ihr mit euren Hunden ja auch ziemlich lange unterwegs.« Ingvar! Er konnte es nicht lassen. Es reizte ihn, dass Aqqaluk sich von ihm nicht aus der Ruhe bringen ließ.
    Aqqaluk zuckte nur mit den Schultern und nahm sich noch ein Bier. Aber ich schaffte es nicht, so gelassen zu sein. Ich stand so abrupt auf, dass ich fast den Couchtisch umgeworfen hätte.
    »Hey, Aqqa«, sagte ich. »Wir sollten mal bei Anga im Studio vorbeischauen. Sie nehmen doch heute ihre neue CD auf.«
    »Heute?«, fragte Aqqaluk und schaute mich erstaunt an, rappelte sich aber hoch und stolperte hinter mir her zur Tür. Als wir draußen waren, blies er die Backen auf. »Puh, warum bist du so ungemütlich, Pakku?«
    »Weil mir Ingvar auf die Nerven geht.«
    »Du bist neidisch.«
    »Nein. Ja. Ich will auch mal mit dem Hubschrauber fliegen.«
    »Klar. Das wollen alle. Aber bei uns im Block ist noch niemand mit Ingvar geflogen. So what?« Aqqaluk verschränkte die Arme vor der Brust, die Fäuste hoch unterdie Achseln geschoben, und stapfte wie eine Maschine durch den Schnee in Richtung der Straße, wo sich das kleine Tonstudio befand, in dem Angas Gruppe manchmal Aufnahmen machte. Er schien ganz vergessen zu haben, dass ich das mit der neuen CD nur erfunden hatte, um von Ingvar wegzukommen. So war Aqqaluk, er nahm alles so, wie es kam, selbst eine Notlüge. Er merkte es nicht mal, wie verdammt ungerecht es war, dass jeder blöde Grönlandtourist Gletscherflüge machte und viele Leute aus Nuuk das niemals erleben würden. So viele Krabben konnte man gar nicht pulen, um das Geld dafür zusammenzukriegen.
    »Sein Vater hat mir mal versprochen, dass er mich mitnimmt«, sagte ich.
    »Dann freu dich doch«, antwortete Aqqaluk und schlug mir auf die Schulter. »Lass uns wieder umkehren«, sagte er. »Anga ist ja gar nicht da. Er ist nach Qaqortoq gefahren, um sich bei der Tourismusschule zu bewerben. Der Junge hat Hummeln im Hintern.« Aqqaluk lachte.
    »Von mir

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