Ins Nordlicht blicken
er mich dann fallen lassen würde.
und du?
älter
dachte ich mir. ist ja auch ein opaspiel
warum spielst du es dann?
weiß nicht. ist so schön langweilig
langweilst du dich gern?
ist das einzige, was ich gut kann ☺
kann ich auch gut
dann würfel mal endlich
wusstest du, dass man im grab von tutenchamun ein bg-spiel
gefunden hat?
nee
es ist eins der ältesten spiele der welt. über 5000 jahre alt
aha
Was war denn mit Spider los? Kaum hatte er herausgekriegt, wie alt ich war, fing er an, mit Wissen um sich zu werfen. War er vielleicht ein Lehrer oder so was? Ich hatte es ja gewusst. Je mehr man sich auf die Wirklichkeit einließ, umso langweiliger wurde sie. Ich ging zum Bett hinüber und warf mich auf die zerknüllte Decke. Wie dämlich von mir, Maalia hängen zu lassen und stattdessen meine Zeit mit einem Oberlehrer zu verquatschen. Maalia. Wenn ich mich auf sie einließ, wurde es mit Sicherheit nicht langweilig. Warum tat ich es nicht, verdammt noch mal? Ich drehte mich auf den Bauch, presste das Gesicht ins Kissen und versuchte, den Gedanken aus meinem Kopf zu kriegen, der sich dort festgebissen hatte. Den Gedanken, dass ich nichts von ihr wollte, weil sie eine Inuit war, weil sie aussah wie ich und wie die meisten Menschen hier und so, wie auch meine Mutter ausgesehen haben musste. Sie sah doch klasse aus, sie war wirklich schön, viel schöner als Ingvars Schwester Jule und all die anderen dänischen Mädchen, die ich kannte. Was wollte ich denn?
Ich holte mein Handy aus der Jackentasche, rief Aqqaluk an und versuchte, Maalias Nummer zu bekommen. Aber Aqqaluk hatte Signes Nummer gelöscht, weil er sie schon vor Wochen abgehakt hatte, und als ich ihm erzählte, dass ich Maalia versetzt hatte, lachte er nur. »Mach dir keinen Kopf, Alter«, sagte er. »Kann nicht schaden, wenn du sie etwas zappeln lässt. Die läuft dir schon nicht weg.«
Ich schaltete das Handy aus, bevor Aqqaluk wieder einen DVD-Abend bei Ingvar vorschlagen konnte, und lachte höhnisch auf. Aqqaluk hatte recht. Hier lief niemand weg, keine Chance. Von hier konnte niemand entkommen, es sei denn, er hatte genug Geld für ein Flugzeugticket.
Nuuk, Grönland, Sommer 2020
Sharys Bed & Breakfast war in einem Häuschen untergebracht, das nicht viel größer war als das Haus am Rasmussenvej. Es war nur nicht ganz so schäbig. Trotzdem verspürte Jonathan nicht die geringste Lust, die Pension zu betreten. Er lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die dottergelb gestrichene Holzwand.
»Wartest du auf mich?«, fragte Shary. »Ich bring nur meinen Rucksack rein und fülle den Anmeldezettel aus.« Sie zögerte kurz. »Oder hast du was Bestimmtes vor?«
»Nein«, antwortete Jonathan.
»Sicher?«
»Ja.«
»Wir könnten einfach noch mal durch die Stadt bummeln, wenn du magst.«
»Klar.«
»Oder weißt du was Besseres?«
»Nein.«
»Okay.« Shary rollte mit den Augen und Jonathan musste grinsen. Erstaunlich, dass sie sich überhaupt auf so einen maulfaulen Typen wie ihn einließ. Was wollte sie eigentlich von ihm? Er sah ihr nach, wie sie mit dem Rucksack auf dem Rücken ins Haus humpelte. Er mochte sie, so unkompliziert und offen, wie sie war. Sie brachte ihn zum Lachen, und das war das Beste, was ihm im Moment passieren konnte. Vielleicht sollte er sie einfachmitnehmen, wenn er zu seinem Vater ging? Vielleicht würde die Situation dann nicht so schrecklich dramatisch wirken. Hallo, ich bin’s. Und das ist Shary. Ich hab sie bei der Überfahrt kennengelernt ... Oh, hallo, kommt doch rein. Es ist allerdings nicht aufgeräumt ... Ja, diese ganze verdammte Verlorene-Sohn-Geschichte wäre besser zu ertragen, wenn er seinem Vater nicht allein gegenüberstehen musste.
Als sie Richtung Stadt zurückgingen, hob Jonathan immer wieder lauernd den Blick. Jeden Moment konnte ihn jemand erkennen, ihn ansprechen. Sah er dem Jungen von damals noch ähnlich? Hatte er sich verändert, so wie Nuuk, das er kaum wiedererkannte? Er wusste es nicht. Er schaute in die Gesichter der Menschen, die ihnen entgegenkamen, und es schien ihm, als ob sich ihre Mienen, ihr Auftreten, ja selbst ihre Art zu gehen verändert hatten. Vielleicht lag es daran, dass es in Nuuk voller und lauter geworden war und dass mehr Eile herrschte. Aber vielleicht lag es auch an seinem eigenen veränderten Blick, dem Blick eines Erwachsenen, der anders ist als der eines Jugendlichen.
Shary hakte sich wieder bei ihm ein. Sie wollte zum Hafen hinunter, um dort an einer der
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