Ins Nordlicht blicken
einredete, und dann brach das Gespräch ab.
Auf einmal begriff ich, was los war. Der Mann steckte in Schwierigkeiten. Irgendjemand stand neben ihm, der nichts von dem Deal wissen sollte, wahrscheinlich sein Chef. Ich sah zur Gangway, und da konnte ich auch schon drei Männer erkennen. Sie schauten unschlüssig den Pierentlang und schienen mich und meine Kiste noch nicht entdeckt zu haben. Am Kai waren etliche Leute unterwegs, vor allem Einheimische, die sich das Schiff ansahen, aber auch ein paar Touristen, die wohl nicht an Bord zu Abend essen wollten. Vielleicht um Oles unvergleichlich labberige Hotdogs zu probieren.
Ohne nachzudenken, stand ich auf und schob die Kiste unter den Hotdog-Wagen, drehte mich zu Ole um und bestellte mir einen Pølser, was auf seinem breiten Gesicht ein ungläubiges Staunen zauberte. Kaum jemand aus Nuuk aß Oles Würstchen, wir wussten ja, wie alt die waren. Nur die Touristen waren so blöd. Wenn so ein Riesenpott für ein paar Tage in Nuuk lag, verdiente Ole mehr als sonst in zwei Monaten.
Während ich auf mein Würstchen wartete, schaute ich unauffällig zur Alaska hinüber. Die drei Männer standen immer noch oben an der Gangway und sahen sich nach dem Krabbenlieferanten um. Ich war zu weit weg, um ihre Gesichter erkennen zu können. Aber der eine fuchtelte so aufgeregt mit den Händen herum, während die anderen beiden auf ihn einquatschten, dass das eigentlich nur der arme Herr Grönemeyer sein konnte.
Ole schob mir das hummerrote Würstchen auf einem Pappteller zu, ich bezahlte und lief in Richtung der Gangway. Ich wollte sehen, wie er aussah, dieser Typ, der da gerade gewaltig in Schwierigkeiten steckte. Endlich passierte hier mal was! Ich war so nervös, dass ich sogar Oles Mörderpølser aufaß, ohne es zu merken. Als ich auf Höhe der drei Männer war, blieb ich stehen. Ich schaute dem Mann direkt ins Gesicht, es war ein älterer, dicklicher Typund ich konnte seine Angst und seine Aufregung förmlich riechen. Wahrscheinlich war er seinen Job los, wenn die Sache aufflog. Ich kannte diesen Gesichtsausdruck, eine Mischung aus Furcht und Trotz. Mein Vater machte so eine Miene, wenn er morgens zu Brugsen marschierte und wusste, dass dort Revision war. Auch in mir kroch plötzlich eine leichte Panik hoch beim Anblick der beiden Kontrolleure, die ziemlich sauer zu sein schienen. Ich zwang mich, ruhig weiterzugehen. Doch als ich mich noch einmal umdrehte, fing ich einen Blick des Mannes auf, und ich war mir plötzlich sicher, dass er mich erkannte. Hatte Sven ihm eine Beschreibung von mir gegeben? Einen Tick zu hastig schaute er in die andere Richtung und ich ging mit klopfendem Herzen die ganze Länge des Schiffes entlang, ohne noch einmal anzuhalten.
Am Anfang des Kais standen ein paar Jungs, die ich von der Schule kannte. Ich stellte mich zu ihnen, schnorrte eine Zigarette, um was zu tun zu haben, und schlenderte gemächlich wieder Richtung Gangway zurück. Von den drei Männern war nichts mehr zu sehen.
Ich ging zum Hotdog-Wagen und zog die Styroporkiste hervor. Ole hatte gar nicht gemerkt, dass ich sie unter ihm geparkt hatte.
»Hey, Pakku. Du schon wieder? Willst du noch eine?« Ole grinste mich freundlich an.
»Danke, eine reicht«, antwortete ich, stemmte die Kiste hoch und zog damit ab. Erst als ich an der Straße war, kam mir die Frage, wohin ich mit dem Zeug sollte. Wieder nach Hause oder zu Sven? Ich entschied mich für Sven.Doch den langen Weg zu seinem Haus am anderen Ende von Nuuk hätte ich mir sparen können. Als ich schweißgebadet dort ankam, meine Kiste vor der Haustür abstellte und Sven von der Geschichte erzählte, fauchte der mich nur wütend an.
»Warum bringst du mir das? Glaubst du, ich will mit dem Zeug hier zu Hause erwischt werden, falls der Mann nicht dichthält?«
»Und was soll ich jetzt machen?«
»Schmeiß das Ding in den Fjord. Und halt ja die Klappe, verstehst du?«
»Klar.«
Ich rieb mir die schmerzenden Finger, hievte die fünfundzwanzig Kilo wieder vor den Bauch und stapfte los. Aber ich ging nicht zum Fjord, sondern schlug den Weg nach Hause ein. Ich konnte die Kiste genauso gut noch ein paar Tage bei uns auf der Veranda stehen lassen. Die Temperaturen scherten sich einen Dreck um den Klimawandel und lagen deutlich unter null, sodass die Krabben eine ganze Weile frisch blieben. Mein Vater würde sich freuen, die nächsten Tage Krabbenomelett zu essen. Und den Rest verscherbelte er mit Sicherheit an seine Kumpels. Warum auch nicht?
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