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Ins offene Messer

Ins offene Messer

Titel: Ins offene Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Baker
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überall, wo man etwas trinken konnte, saßen Horden Teenager, Jungs und Mädchen, vor dem Eingang auf den Bürgersteigen, tranken und lachten.
    Normalerweise schauten sich die Leute nach Jane Deacon um. An diesem Abend, als sie durch den Park gingen, bemerkte Sam, daß sie die Blicke von Jung und Alt, Männern und manchen Frauen auf sich zog - sie sahen sie einmal kurz an und drehten sich dann sofort wieder zu ihr um. Jane schien das alles nicht zu registrieren. Sie mußte es merken, aber sie wirkte nicht so.
    «Was ist eigentlich mit dem Bild?» fragte er.
    «Mit dem Porträt, meinen Sie? Es ist noch nicht fertig. Ich sollte noch einmal Modell sitzen, aber ich weiß nicht, ob ich das jetzt noch will. Es war für Terry. Was soll ich mit einem Porträt von mir?»
    «Sie könnten es mir schenken», sagte Sam. «Wenn Sie zu Ihrer Insel in der Sonne abgereist sind, wird es mich daran erinnern, wie ich mit der schönsten Frau der Stadt durch York geschlendert bin.»
    «Gutes Aussehen bedeutet nicht besonders viel», sagte sie.
    «Vielleicht nicht, wenn man es hat.»
    «Es ist nur eine Laune der Mode», sagte sie. «Über das tolle Gesicht von heute kann man morgen nur noch lachen.»
    «Ich habe immer noch an heute gedacht», sagte er und fixierte einen Burschen auf dem Bürgersteig, der Jane von oben bis unten und wieder nach oben taxierte. «Sehen Sie sich den an, der Typ ist wie in Trance.» Jane drehte sich um, und plötzlich kam der Bursche wieder zu Bewußtsein, stieß die Hände in die Taschen und entfernte sich schnell. «Warten Sie», sagte Sam, «er wird sich jeden Augenblick noch einmal umdrehen.»
    Sie beobachteten den Typ, bis er die Straßenecke erreichte. Dort blieb er stehen und schaute sich noch einmal um, bevor er schnell um die Ecke verschwand. Sam und Jane lachten, gingen weiter. «Der geht sich jetzt frische Unterhosen anziehen», sagte Sam. Ihre Hand streifte einen Augenblick seine, lange genug, daß er sie ergreifen konnte, wenn er wollte. Er wollte, aber er tat es nicht.
    In der Theatre Bar bestellte er ihr einen Weißwein und für sich ein Tonic, brachte beides zu einem Tisch hinüber, den sie besetzt hatte. «Sie trinken nicht?» fragte sie.
    «Genau. Mehr als die meisten», gab Sam zu. «Aber nur, wenn ich unglücklich bin.»
    «Wollen Sie das Porträt wirklich?»
    «Ich habe diese riesige, kahle Wand. Braucht dringend etwas Farbe.»
    «Okay, Sie kriegen es.» Mit dem Zeigefinger berührte sie über den Tisch seine Hand. Nur eine leichte Berührung, dann zog sie sich wieder zurück. Ein kleiner elektrischer Schlag. Sam schloß die Augen und öffnete sie wieder. Das Kribbeln war immer noch da. Er ließ sich nichts anmerken, war sich bewußt, daß er gegen seinen Willen ein kleines Spielchen spielte. Eine Berührung hier, ein Blick da, etwas, das er oder sie sagte, ließ eins zum anderen kommen. Ließ es in Ruhe, ließ es stehen, bis es keinen anderen Ausweg mehr gab. Spielte mit Dynamit. Wie vor einer Flasche Whiskey zu sitzen, das Etikett zu lesen, den Verschluß aufzuschrauben, vielleicht noch daran zu riechen, ohne aber auch nur einen Tropfen anzurühren. Die ganze Nacht mit der Flasche zwischen den Beinen dasitzen. Mal sehen, wie lange du durchhältst.
    Sie spazierten durch die Museum Gardens, kamen an zwei Pennern vorbei, die ihnen Beschimpfungen an den Kopf warfen, irgendein unverständliches Zeug, die einzige klare Nachricht war, daß Sam und die Blondine doch bumsen sollten. Sam brauchte niemanden, der ihm das sagte.
    «Wie wird man so?» fragte sie, als sie zuschaute, wie einer der Wermutbrüder kopfüber in eine Rabatte knallte.
    «Es ist leichter, als es aussieht», sagte er.
    «Aber völlig weggetreten. Die wissen ja nicht mal, wo sie sind.»
    «Man trinkt sich einfach bis auf den Boden der Flasche durch», sagte er. «Dann fängt man mit einer neuen an. Es dauert nicht lange.»
    «Die Stimme der Erfahrung?»
    «Ich weiß, wo sie sind», sagte er.
    «Aber was bringt einen dazu, sich so aufzugeben?»
    «Armut, irgendeine Entbehrung, Unzulänglichkeit, Leere, Zahlungsunfähigkeit, Not, Bedürftigkeit. Soll ich fortfahren?»
    «Wenn Sie können.»
    «Verzweiflung, Mittellosigkeit, Zahlungsunfähigkeit, Hunger, Nichts, nichts Besonderes, ein gebrochenes Herz, Vernarrtheit, Sehnsucht, Versagen, Erfolg. Alles, womit man nicht fertig wird oder werden will. Es gibt so viele Gründe, wie es Flaschen gibt.»
    «Sind Sie Alkoholiker?»
    «Nur, wenn ich trinke.»
    Schweigend kehrten sie zu der

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