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Ins offene Messer

Ins offene Messer

Titel: Ins offene Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Baker
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Frauen. Er verstand etwas von Poesie, und er konnte gut zuhören, aber von Frauen verstand er nichts.
    Graham kannte Frances. Er sagte, er hätte sie schon von Anbeginn der Zeit gekannt. Er hätte sie in zahllosen Inkarnationen gekannt, seit der Vorgeschichte. Er und sie waren schon immer zusammen. Und Frances wußte, was er meinte. Sie waren keine einzelnen Lebewesen, Graham und Frances. Sie waren eins. Wenn Grahams Stimmung wechselte, spürte sie es sofort, und andersherum war es ebenso; irgend etwas nahm sie mit, und noch ehe sie Zeit hatte, es selbst zu denken, war Graham an ihrer Seite. «Mit dir alles in Ordnung? Keine Angst, ich bin immer bei dir.»
    Die Welt ging an ihnen vorbei. Was immer passierte, nichts konnte sie berühren. Sie waren größer als die Welt. «Beziehungen wie unsere», sagte Graham immer, «sind der Grund, warum die Welt überhaupt existiert.»
    Aber der Teufel ist listig. Der Teufel schreit vor Schmerz angesichts der Schönheit einer solchen Beziehung. Er kann es nicht ertragen. Er ruft alle seine Untergebenen zusammen, um sie zu zerstören, seine Zuhälter und seine Prostituierten, seine Unzuchttreibenden. Er läßt sie daran herumhacken. Versucht sie zu zerstören, sie in einen Fehlschlag zu verwandeln.
    Man muß wachsam sein. Man muß stark sein.
    Der Anfang war wunderbar. Graham hatte Neuseeland verlassen, um sein Schicksal zu suchen. Er war um den ganzen Globus gereist. Und er hatte weitergemacht, was auch immer sich ihm in den Weg gestellt hatte, er hatte nicht aufgegeben. Frances war in Leeds geboren, sie hatte die Stadt nie verlassen, wußte, daß eines Tages jemand, etwas passieren würde. Sie wußte nicht, wer oder was es sein würde. Sie hatte nie auch nur geträumt, daß es Graham sein würde. Aber genau das war es. Sie festgewachsen an einer Stelle, zu der er unaufhaltsam hingezogen wurde. Es war wie in den Märchen. Aber es war die Wirklichkeit. Graham sagte, alle Märchen seien wahr, aber die Menschen heute sind viel zu intellektuell, um sie zu verstehen.
    Graham, in seiner Einfachheit, hatte mehr gewußt als sie. Frances hatte nur gewußt, daß etwas passieren würde. Aber Graham hatte sie tatsächlich gesucht. Er wußte, wie sie hieß, wie sie aussah. Er träumte von ihr, Jahre, bevor sie sich begegneten.
    Das erste Jahr, die ersten beiden Jahre, waren ein Wunder nach dem anderen gewesen. Nachdem sie sich schließlich gefunden hatten, blühten beide auf. Sie wuchsen miteinander, wuchsen gemeinsam wie eine Blume, deren Wurzel und Stiel getrennt gewesen und dann, wie durch ein Wunder, wieder eins geworden waren.
    Das war die Periode der besten Gedichte, Die Frances-Gedichte. Während dieser zwei Jahre waren sie nur so aus ihm herausgeströmt. «Sie schreiben sich selbst», sagte er begeistert. «Sie fallen einfach so aus der Feder meines Füllers. Ich halte dein Bild vor mich, und die Gedichte purzeln einfach so herab.» Zwei Jahre der Anmut. Der Anmut und des Glücks.
    Dann fingen die Visionen an.
    Der Teufel und seine Spießgesellen begannen durchzubrechen. Irgendwie, sich von innen heraus vorarbeitend, griffen sie Grahams zerbrechliche dichterische Empfindsamkeit an. Er war zu sensibel, zu offen, um dem konstanten Bombardement zu widerstehen. Im Verlauf der Zeit war er geschwächt worden durch die Dienste der Zuhälter und Prostituierten. Besonders die in diesem Haus in York. Dem Haus der Sünde.
    Frances hatte versucht, ihn zu beruhigen. Sie hatte die Visionen in Schach gehalten oder eine Erklärung für sie gefunden. Das hatte sie jahrelang getan. Doch mit der Zeit wurden sie ein wenig stärker, bis er schließlich von ihnen verzehrt worden war.
    Die ersten Visionen waren um Sarah Dunn gekreist, die Nachbarin, die ihn verführt hatte, als er noch ein kleiner Junge war. Sie kam in seine Träume, wann immer er die Augen schloß. Frances hielt ihn dann fest in den Armen, bis er einschlief, doch dann kehrte die Verführerin zurück, und Graham wachte mitten in der Nacht schreiend auf.
    Dann kam die schwedische Frau, Lotta Jensen, und am Ende kamen sie alle, bis Graham überhaupt keine Ruhe mehr finden konnte. Tag und Nacht schritt er im Haus auf und ab, seine Augen loderten. «Halt sie fern, Frances», sagte er dann. «Um Himmels willen, halt sie fern von mir.»
    Frances schlug vor, er solle ein Gedicht über sie schreiben, dachte, es mußte doch irgendeine Möglichkeit geben, sie zu exorzieren. Er arbeitete die ganze Nacht. Frances schlief nicht. Immer wieder gab es

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