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Ins offene Messer

Ins offene Messer

Titel: Ins offene Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Baker
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sie sah ihn über den Rand ihrer Tasse an. Vielleicht sollte er sie auf den Flecken aufmerksam machen. Vielleicht auch nicht, denn sie sah besser damit aus. Nicht so unberührbar.
    Die Situation erinnerte Sam an eine Geschichte von Hemingway, die er mal gelesen hatte, er konnte sich nicht mehr erinnern, welche genau es war, die Geschichte, in der dieses Paar die Tatsache auskostet, daß etwas passieren wird, auch wenn keiner von beiden die Initiative ergreift, sondern auf eine dritte Figur wartet, das Ereignis selbst. Er warf Geordie einen kurzen Blick zu, der eine Schallplattenhülle studierte, und fragte sich, ob der Junge überhaupt etwas von dem mitbekam, was hier passierte. Es machte nicht den Eindruck, er schien sich der seltsamen Wollust nicht bewußt zu sein, die den Raum ausfüllte.
    Sie bewegte sich auch anders. Langsamer, versuchte, ihn nicht durch schnelle Bewegungen zu verwirren, träge beinahe, so daß er jede Drehung wahrnehmen, dabei verweilen und sehen konnte, wie ihr Körper gleiten, sich bewegen, stehen, ja sogar vom Kurs abkommen konnte, und das alles mit einer Harmonie, die, ganz abgesehen davon, was immer sie sonst noch bewirkte, den Blick fesselte.
    Aber es schauten zwei Sams zu, da war auch der alte, zynische Sam, der genau wußte, daß Wollust launisch war, und auch wenn man sich heute darauf einlassen mußte, konnte sie morgen schon leicht als Fehler angesehen werden.
    Sie ertappte ihn bei einem Blick, und da war wieder dieses Lächeln. Das Lächeln, das sagte: «Ich weiß genau, was du denkst.» Und sie warf auch Geordie einen Blick zu, mit den Augen, ohne den Kopf zu bewegen, so daß der Junge nicht einmal mitbekam, daß er gemustert wurde, ein Blick, der nur einen Sekundenbruchteil dauerte, bevor er sich wieder auf Sam richtete. Aber der kurze Seitenblick auf Geordie sagte erheblich mehr, als der ständige Blickkontakt. Er sagte: «Ach, Geordie, wir lieben dich alle, aber wenn du nicht hier wärst, könnten wir uns prächtig amüsieren.» Und er sagte ebenfalls: «Na und? Wir warten einfach noch ein bißchen. Lassen es noch ein wenig anschwellen, damit wir auch ganz bestimmt bereit sind, wenn es dann schließlich passiert.»
    «Du hast einen Fleck auf dem Gesicht», sagte er.
    Sie hob die Hände ans Gesicht, dachte vielleicht, es fühlen zu können. «Wo? Es war so schmutzig oben auf dem Speicher.»
    «Ist es meistens», sagte er und ging zu ihr. Sie ließ die Hände sinken und hob den Kopf zu ihm, wartete darauf, daß er es tat. «Da», sagte er und berührte ihre Wange, ganz weit oben, direkt unter dem linken Auge. Ein kleiner elektrischer Schlag in seinem Finger, und auch auf ihrem Gesicht, so wie sie sich anspannte, mit dem Wimpern zuckte. «Halt still.» Er rieb mit Zeigefinger und Daumen daran, zeigte ihr den Schmutz, der auf seine Finger überging. Jane lachte verlegen, warf Geordie wieder einen kurzen Blick zu, wollte, daß sie allein waren. «Da», sagte er. «Es ist nur Staub.»
    Sie standen jetzt sehr dicht beieinander. Er konnte die Hitze ihres Körpers spüren. Sie errötete leicht, nur so wenig, daß man so nahe sein mußte, um es überhaupt zu bemerken. Eine Sekunde tauchte ihre Zungenspitze zwischen den Lippen auf, dann verschwand sie wieder, und Jane schluckte, schnappte nach Luft. Sams Mund war trocken.
    «Was ist ein sonores Finale?» fragte Geordie und schaute von der Schallplattenhülle auf.
    Jane lächelte und schloß aus irgendeinem Grund die Augen.
    Sam antwortete: «Das ist, wenn plötzlich die Hölle los ist.»
    Er konnte sagen, was er wollte: der Zauber des Augenblicks war gebrochen. Jane trat einen Schritt zurück. «Ich glaube, ich werde jetzt ein Bad nehmen.» Blieb trotzdem noch einen Moment stehen, sprach nicht, sagte aber: «Ich wünschte, du könntest mitkommen.»
    Wanda schoß Sam durch den Kopf, die seinen Rücken schrubbte. Warum urplötzlich immer Bäder? Eine neue Entwicklung in seinem Leben?
    Jane ging zur Treppe, und er folgte ihr mit den Augen. Sie drehte sich zu einem letzten Blick um, als sie die Küchentür erreichte, legte eine Hand auf den Türrahmen und schien ihm mit der anderen zuzuwinken. Sam lächelte und nickte, ließ sie gehen.
    «Jesus, Sam», sagte Geordie. «Ich hab ja schon vom Zusehen einen Ständer gekriegt.»
    «Das gilt für uns beide», sagte Sam. «Ich dachte, du liest.»
    «Scheiße, irgendwas mußte ich doch tun.»
    Er beugte sich zu Geordie, um zu sehen, was er las. Irgendein Klassik-Sampler. «Magst du klassische Musik?»

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