Ins offene Messer
selbstverständlicher gemacht. Hatte es weniger zu einer Belastung, weniger zu einer Notwendigkeit gemacht, sondern zu etwas, das man tun konnte, wenn einem danach war, und dann auch gleich wieder vergessen. Solange Jean in der Nähe war, konnte man mit noch so vielen Männern schlafen, man holte sie doch nie ein.
Wenn sie dann noch in England war, würde Jane zu Jeans Beerdigung gehen. Einer Frau die letzte Ehre erweisen, die einen prägenden Einfluß auf sie gehabt hatte.
Und was hatte Sam da gesagt, er wisse, wo Graham war? Trotzdem, wenn er glaubte , es zu wissen, dann war er beschäftigt. Er konnte so vielen Spuren über den Verbleib von Graham East folgen, wie er Lust hatte. Finden würde er ihn doch niemals. Und wenn er sich erschöpft hatte, all den Spuren zu folgen, wenn er von der Suche über alle Maßen frustriert war, nun, Jane hatte eine weiche Stelle, wo er sein müdes Haupt betten konnte.
Sie hüllte sich in einen Bademantel und ging in ihr Schlafzimmer.
Sie wollte sich anziehen und runtergehen, ging dann aber doch ins Bett. Unten schien Geordie Musik aufgelegt zu haben, es klang wie Chopin, irgendwas in Moll, es verzehrte einem das Herz. So eine Frau war Jane nicht, aber wenn sie es wäre, dann könnte sie leicht zu weinen beginnen, wenn sie wußte, daß Sam nicht raufkam und gleichzeitig eine solche Musik in der Ferne spielte.
Kapitel 52
Geordie sagte Sam, daß die Musik ihn an seine Mutter und seinen Bruder und an Leute erinnerte, die er noch nicht kennengelernt hatte, aber bereits vermißte, und Sam sagte, ja, er könne sich erinnern, genau das gleiche empfunden zu haben, als er viel jünger war, hätte das Gefühl aber schon sehr lange nicht mehr gehabt.
«Meine Mutter und mein Bruder sind gar nicht so», sagte Geordie. «Eigentlich interessiere ich sie gar nicht. Und sie sind einfach weggegangen. Es ist vielmehr, wie sie hätten sein sollen.»
Sam hörte wieder der Musik zu. Sie war schwermütig. «Diese Musik bewirkt», sagte er, «daß man sich bewußt wird, ein großes Loch in sich zu haben, eine Leere, die niemals gefüllt werden kann.»
«Ja», sagte Geordie. «Und man verkriecht sich in dieses Loch. Es stellt einen völlig auf den Kopf.»
«Zerreißt einen.»
«Raubt einem die Luft.»
«Es ist gottverdammt schrecklich», sagte Sam.
«Soll ich’s ausschalten?»
«Nein, ich liebe es.»
Gus traf um kurz vor zwei ein, nieste und zitterte. «Was machst du hier?» fragte Sam. «Fahr nach Hause und leg dich ins Bett, wir bleiben hier.»
«Nein», sagte Gus. «Jetzt bin ich schon mal hier. Auf der Couch wird’s mir prächtig gehen. Muß mir irgendeinen Scheißbazillus gefangen haben.»
«Hast du mit dem Schulmädchen gesprochen?»
«Ja», sagte Gus. «Ein richtig nettes Mädchen. Und ihr Freund auch. Von ihrem Vater will sie nichts wissen. Er hat sie mißbraucht, schlägt sie.»
«Sexuell mißbraucht?»
Gus nickte. «Seit sie zwölf war. Das Mädchen vermutet, daß er Angst hat, die Mutter könnte es herausfinden. Sie wird auf gar keinen Fall nach Hause zurückgehen.» ‘
«Wovon will sie leben?»
«Der Freund hat einen Job. Sie haben nicht viel, aber ich habe das Gefühl, die zwei schaffen es.»
«Ihr Vater hat mir zweihundert Mäuse gegeben», sagte Sam. «Ich werd’s ihm zurückgeben und ihm sagen, er soll sich selbst ficken.»
«Warum gibst du’s nicht dem Mädchen?» sagte Gus. «Ich bin sicher, sie könnte es gut gebrauchen.»
«Ja, gute Idee. Ich werd ihm sagen, seine Tochter bewahrt es für ihn auf.»
«Er könnte dich verklagen.»
Sam lächelte. «Ich glaube nicht, daß er das tun wird.»
Sie ließen Gus in dem Haus zurück, hustend und spuckend, mit tränenden Augen. Sie schlenderten durch die Nacht. «Man fühlt sich beschissen, wenn man wie Gus aussieht», sagte Geordie. «So ging’s mir in Liverpool. Es hat geregnet, und ich war dauernd klatschnaß. Hab im Regen geschlafen. Dachte, ich würde sterben.»
«Ja», sagte Sam. «Er sollte wirklich ins Bett.»
Sam hatte eine Reihe Träume von Jane, wachte schließlich nach einem besonders heißen am frühen Morgen auf, war ein wenig enttäuscht festzustellen, daß es nicht echt gewesen war. In dem Traum war sie von oben bis unten tätowiert gewesen, mit Vögeln und Katzen, die sich gegenseitig jagten. Vögel, die Katzen jagten, genauso wie Katzen, die Vögel jagten. Rannten über ihren ganzen Körper, versteckten sich an allen Stellen, die als Versteck zur Verfügung standen.
Vielleicht
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