Insel der blauen Delphine
scharrten die Reste meiner Mahlzeit, die ich vergraben hatte, aus dem Boden und balgten sich knurrend um die letzten Brocken. Nachdem sie gefressen hatten, kreisten sie schnuppernd um meinen Felsen. Kein Zweifel, sie witterten meine Nähe. Lange lag ich schlaflos auf dem Felsen, während die Hunde unter mir ruhelos hin und her trabten. Auf den Felsen konnten sie nicht klettern, er war zu hoch, dennoch fürchtete ich mich. In dieser Nacht überlegte ich mir zum ersten Mal, was mir zustoßen könnte, wenn ich das Gesetz unseres Stammes missachtete und mir, obgleich ich eine Frau war, die benötigten Waffen anfertigte. Ich fragte mich, was geschehen würde, wenn ich ganz einfach nicht an dieses Gesetz dachte. Vieles konnte geschehen: Vielleicht rasten die vier Winde des Himmels daher und zerschmetterten mich, während ich einen Pfeil schnitzte. Oder die Erde bebte, wie manche sagten, und begrub mich unter den fallenden Steinen. Oder würde etwa das Meer in einer furchtbaren Sturzflut über die Insel hereinbrechen? Würden die Waffen in meinen Händen gerade dann zerbrechen, wenn ich ihrer bedurfte, wenn ich in tödlicher Gefahr schwebte, wie mein Vater geweissagt hatte? Zwei Tage lang überdachte ich diese Dinge und in der dritten Nacht, als die Hunde wieder zum Felsen kamen, beschloss ich, mir die Waffen anzuschaffen, was immer auch geschehen mochte. Gleich am nächsten Morgen wollte ich mich an die Arbeit machen. Dies tat ich denn auch, trotz der Angst, die mich dabei quälte. Für die Speerspitze wollte ich den Zahn eines SeeElefanten verwenden, weil er hart ist und genau die richtige Form hat. An der Küste am Fuß der Bergkuppe tummelten sich viele dieser Tiere. Die Frage war nur, wie ich eines töten könnte. Unsere Männer pflegten sie mit einem starken Netz aus Salzkrautgeflecht zu fangen. Sie warfen das Netz über das Tier, wenn es schlief. Dazu bedurfte es jedoch der Kraft von mindestens drei Männern, und selbst dann konnte es geschehen, dass der SeeElefant samt dem Netz ins Meer flüchtete und so seinen Häschern entkam. Ich begnügte mich also vorerst mit einer zugespitzten Baumwurzel, die ich im Feuer härtete. Die Spitze band ich mit einer frischen Robbensehne an einen langen Schaft. Es gab eine Menge Robben an der Küste. Eine davon hatte ich zwei Tage zuvor mit einem Stein getötet und ausgenommen, weil ich ihre Sehnen als Schnüre verwenden wollte. Die Herstellung des Bogens und der Pfeile erforderte mehr Zeit und Arbeit. Sehnen besaß ich nun zur Genüge, doch die Holzart, die ich brauchte, war nur mit Mühe aufzutreiben. Das Holz musste stark und zugleich biegsam sein. Mehrere Tage lang durchforschte ich die benachbarten Schluchten, ehe ich das Richtige fand, denn Bäume sind, wie gesagt, eine Seltenheit auf der Insel der blauen Delfine. Schließlich hatte ich alles beisammen, auch das Holz für die Pfeilschäfte, die Steine für die Pfeilspitzen und eine Handvoll Vogelfedern für das stumpfe Schaftende. Doch dies war erst der Anfang. Die größten Schwierigkeiten standen mir erst noch bevor. Wohl hatte ich manches Mal zugesehen, wenn unsere Männer an ihren Waffen arbeiteten, aber wie man dabei vorging, wusste ich nicht. Ich hatte meinem Vater zugesehen, wenn er an Winterabenden in der Hütte saß und das Holz für die Schäfte schabte, ich hatte gesehen, wie er die Steine für die Pfeilspitzen zerhackte und die Federn festband; ich hatte ihm zugeschaut und im Grunde doch nichts gesehen. Denn damals waren meine Augen noch nicht die Augen eines Menschen, der eines Tages selbst mit solchen Dingen umgehen muss. Es war daher nicht verwunderlich, dass viel Zeit verging, ehe ich einen brauchbaren Bogen und ein halbes Dutzend Pfeile besaß. Von da an trug ich meine Waffen in einer Schlinge auf dem Rücken, wohin ich ging, zur Küste, um Muscheln zu sammeln, oder in die Schlucht, um Wasser zu holen. Und jeden Tag übte ich mich im Bogenschießen wie auch im Speerwerfen. Während ich an den Waffen arbeitete, blieben die wilden Hunde meinem Lager fern, doch Nacht für Nacht konnte ich sie heulen hören. Später, als die Waffen fertig waren, zeigte sich der Anführer des Rudels für kurze Zeit im nahen Gebüsch. Ich sah, wie er mich mit seinen gelben Augen beobachtete. Er stand auf einem Felsblock oberhalb der Quelle, als ich Wasser schöpfte, und schaute zu mir herab. Er stand sehr still, nur sein grauer Kopf ragte aus dem Cholla-Busch, dennoch bot er kein gutes Ziel für meinen Pfeil. Die Entfernung war zu
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