Insel der blauen Delphine
groß. Mit meinen Waffen konnte ich mich einigermaßen sorglos auf der Insel bewegen. Geduldig wartete ich auf den Augenblick, da ich sie gegen die wilden Hunde, die Ramo getötet hatten, verwenden konnte. Ich ging nicht mehr zu ihrer Höhle. Ich war ja sicher, dass sie eines Tages wieder auf meine Bergkuppe kommen würden. Inzwischen verbrachte ich die Nächte weiterhin auf dem hohen flachen Stein, der mir als sichere Schlafstätte diente. In der ersten Nacht hatte ich auf dem bloßen Felsen gelegen. Die Oberfläche war aber so uneben, dass ich am nächsten Tag einige Bündel Seegras aus der Bucht holte und mir daraus ein Bett machte. Ich fühlte mich wohl da oben auf der Kuppe. Über mir schimmerten nachts die Sterne. Ich zählte die wenigen, die ich kannte, und erfand Namen für viele andere, die ich nicht kannte. Am Morgen schaute ich den Möwen zu. Sie flogen von ihren Nestern auf, die zwischen den Klippenfelsen klebten kreisten eine Weile lang über den Ebbetümpeln, ließen sich fallen und begannen, sich für den neuen Tag herzurichten. Sie standen in den Tümpeln, erst auf dem einen, dann auf dem anderen Bein, füllten die krummen Schnäbel mit Wasser, das sie über sich gossen, und glätteten ihr Gefieder mit der Schnabelspitze. Danach flatterten sie über der Küste auf und ab, um nach Fischen zu jagen. Jenseits der Salzkrautbänke hatten die Pelikane schon mit der Jagd begonnen. Sie schwebten hoch über dem Wasser, und wenn sie einen Fisch erspähten, stürzten sie sich kopfüber ins Meer. Beim Aufklatschen machten sie so viel Lärm, dass ich es ganz oben auf der Bergkuppe hören konnte. Ich sah auch den Ottern zu, wenn sie im Salzkraut fischten. Die scheuen Tiere waren bald nach dem Verschwinden der Aleuter zurückgekommen und mir schien, sie hätten nichts von ihrer Zahl eingebüßt. Die Morgensonne schimmerte wie Gold auf ihren glänzenden Fellen. Doch immer, wenn ich auf dem Felsen lag und zu den Sternen aufblickte, dachte ich an das Schiff der weißen Männer. Und am Morgen galt mein erster Blick dem kleinen Hafen in der Korallenbucht. Jeden Morgen hoffte ich, das Schiff sei in der Nacht dort eingelaufen. Und jeden Morgen sah ich nichts als die fliegenden Vögel über dem Wasser. Zu der Zeit, da Ghalasat noch bewohnt gewesen war, hatte ich immer schon vor Sonnenaufgang vielerlei nützliche Arbeit geleistet. Jetzt aber gab es so wenig zu tun, dass ich zuweilen auf dem Felsen liegen blieb, bis die Sonne mitten am Himmel stand. Dann aß ich ein paar Muscheln oder ich ginggeradewegs zur Quelle, um frisches Wasser zu holen und in dem kleinen Becken zu baden. Später sammelte ich Abalonen an der Küste und manchmal fing ich mit dem Speer einen Fisch zum Abendbrot. Ehe es dunkel geworden war, kletterte ich wieder auf den Felsen und schaute auf die See hinaus, bis die Nacht sie verschlang. Das Schiff kam nicht zurück. Auf diese Weise ging der Winter vorbei und danach der Frühling.
Kapitel 10
Der Sommer ist die beste Zeit auf der Insel der blauen Delfine. Die Sonne scheint am wärmsten und die Winde wehen sanfter, bisweilen aus dem Westen, manchmal aus dem Süden. Das Schiff konnte nun jeden Tag zurückkommen. Ich verbrachte diese Zeit meist auf dem Felsblock, den Blick nach Osten gerichtet, nach der Richtung, wo das Land lag, das meine Leute aufgesucht hatten. Ich schaute und schaute hinaus aufs Meer, das nirgends ein Ende nahm. Einmal sah ich in der Ferne etwas, das ich für ein Schiff hielt. Aber ich täuschte mich. Ein Wasserstrahl schoss in die Luft, ich wusste, dass es ein Walfisch war. Außer diesem Walfisch gab es in jenem Sommer nichts mehr zu sehen. Mit dem ersten Wintersturm hörte die Hoffnung auf. Wenn das Schiff der weißen Männer nach mir ausgeschickt worden wäre, so hätte es in der guten Jahreszeit kommen müssen. Jetzt blieb mir nichts übrig, als zu warten, bis der Winter vorbei war. Wer weiß, vielleicht dauerte es noch länger. Mit einem Mal fühlte ich mich sehr verlassen. Ich dachte daran, wie viele Sonnen über dem Meer aufund niedergehen würden, während ich mutterseelenallein auf dieser Insel lebte. Es war ein ganz neues und beängstigendes Gefühl. Bisher hatte ich ja stets gehofft, das Schiff werde irgendwann zurückkommen, wie Matasaip gesagt hatte. Jetzt musste ich diese Hoffnung begraben. Ich war allein. Allein. Ich aß wenig, und wenn ich schlief, träumte ich von schrecklichen Dingen. Der Sturm kam aus dem Norden. Er warf mächtige Wellen gegen die Insel und die Winde
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