Insel der blauen Delphine
Himmel unterscheiden konnte. Ich hörte keinen Laut außer dem glucksenden Geräusch der Wellen, wenn sie den Boden meines Kanus streiften oder gegen die Bootswand schlugen. Bisweilen klang es zornig, dann wieder wie das Lachen eines Menschen. Hunger hatte ich nicht, meine Angst war zu groß. Beim Anblick des ersten Sterns wurde mir leichter ums Herz. Er blinkte tief im Osten, genau vor mir, am Himmel auf. Nach und nach kamen überall andere Sterne zum Vorschein, aber ich hielt die Augen auf den ersten gerichtet. Er stand in dem Sternbild, das wir die Schlange nennen, er leuchtete grün und ich kannte ihn. Ab und zu verkroch er sich im Dunst, doch nur für kurze Zeit, und jedes Mal tauchte er umso strahlender wieder auf. Ohne den Stern hätte ich mich hoffnungslos verirrt, denn die Wellen bewegten sich hartnäckig in der gleichen Richtung; sie rollten seitlich auf mich zu, sodass das Kanu ständig von seinem Kurs nach Osten abgetrieben wurde. Seine Spur in dem schwarzen Wasser glich einer sich windenden Schlange. Ich weiß nicht, wie ich es fertigbrachte, dass das Kanu dennoch ständig auf den Stern zuhielt. Als dieser höher stieg, begann ich mich nach dem Nordstern zu meiner Linken zu richten. Wir nennen ihn den “Stern, der sich nicht bewegt”. Nach einer Weile ließ der Wind nach. Das bedeutete, dass die erste Hälfte der Nacht vorbei war. Ich wusste jetzt auch, wie lange ich schon unterwegs war und wie lange es dauerte, bis der neue Tag anbrach. Etwa um die gleiche Zeit entdeckte ich das Leck. Ich hatte, ehe es dunkel wurde, einen meiner Esskörbe geleert, um damit Wasser aus dem Boot zu schöpfen, falls sich dies als notwendig erwies. Es konnte bisweilen geschehen, dass eine Welle über den Bootsrand schlug. Das Wasser, das jetzt um meine Beine plätscherte, kam jedoch nicht von solchen Wellen, es musste von unten her ins Boot gedrungen sein. Ich legte das Paddel beiseite und schöpfte so lange, bis der Boden des Kanus fast trocken war. Dann tastete ich im Dunkel über die Planken und fand die Stelle dicht am Bug, ein Riss, so groß wie meine Hand und etwa einen Finger breit. Dieser Teil des Kanus ragte zwar beim Fahren meist über die Wasserfläche hinaus, bisweilen aber tauchte er in einer Welle unter und dann drang jedes Mal ein gurgelnder Schwall herein. Die Spalten zwischen den Planken waren mit schwarzem Pech gefüllt, das wir am Strand zu sammeln pflegten. Ich hatte natürlich kein Pech bei mir, weshalb ich eine Handvoll Fasern aus meinem Rock riss und das Loch damit zustopfte. Am Morgen war der Himmel klar. Ich sah, wie die Sonne weit drüben zu meiner Linken aus den Wellen tauchte. Ich musste also trotz aller Anstrengungen von meinem Kurs abgekommen sein. Schnell änderte ich die Richtung und paddelte auf dem glitzernden Pfad, den die Morgensonne ins Meer malte, weiter. Der Wind regte sich nicht. Die lang gezogenen Wellen schoben sich gemächlich an meinem Kanu vorüber. Ich kam jetzt bedeutend rascher voran als in der vergangenen Nacht. Zum ersten Mal, seit ich die Insel verlassen hatte, empfand ich wieder eine Art von Zuversicht. Wenn das gute Wetter anhielt, würde ich bis zum Abend viele Meilen zurücklegen können, obschon ich sehr müde war. Noch eine Nacht, dachte ich, vielleicht noch ein Tag und dann kommt die Küste in Sicht, wo meine Reise endet. Beim Weiterpaddeln dachte ich an das fremde Land. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es dort sein würde. Doch mitten in meinen Gedanken merkte ich, wie sich das Kanu wieder mit Wasser zu füllen begann. Das neue Leck befand sich zwischen den gleichen Planken wie das erste, war jedoch größer und nahe der Stelle, wo ich kauerte. Wieder zerrte ich Fasern aus meinem Rock und stopfte sie in den Riss. Damit ließ sich zumindest verhindern, dass bei jeder Bewegung des Kanus ein Wasserstrahl hereinschoss. Inzwischen aber hatte ich entdeckt, dass die Planken, wohl weil das Kanu so lange an der Sonne gelegen hatte, der ganzen Länge nach morsch waren und dass das Holz von einem Ende bis zum anderen zersplittern konnte, sobald die Wellen stärker wurden. Weiterrudern war gefährlich, so viel stand jetzt fest. Die Fahrt konnte noch zwei Tage, vielleicht sogar länger dauern, während es bis zur Insel zurück nicht halb so weit war. Dennoch konnte ich mich nicht gleich zur Umkehr entschließen. Das Meer bewegte sich kaum und ich hatte schon so viele Meilen zurückgelegt. Sollte alles umsonst gewesen sein? Der Gedanke war unerträglich. Aber noch mehr
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