Insel der blauen Delphine
Leitern, die ihr Widerschein in das gekräuselte Wasser malte, konnte ich alles deutlich sehen. Ich sah zwei Segel und es war ein Schiff, das auf die Insel zukam. Da ich die Farbe der Segel nicht gleich erkennen konnte, kam mir der Gedanke, es könne vielleicht das Schiff der weißen Männer sein. Ich hatte in letzter Zeit selten an sie gedacht und kaum mehr nach ihnen ausgeschaut. Ich hängte die Kormorane an den Zaun und eilte auf die Bergkuppe. Vom Felsblock aus sah ich jedoch fast nichts, da die Sonne jetzt ganz tief stand und das Meer in funkelndes Licht tauchte. Dann fiel mir ein, dass das Schiff der weißen Männer von Osten her kommen würde. Dieses hier kam aus einer anderen Richtung. Es kam aus dem Norden. Obgleich ich noch immer nicht sicher war, dass es den Aleutern gehörte, beschloss ich, die Dinge zu packen, die ich in die Höhle am Schluchtenbach mitnehmen wollte. Es waren eine ganze Menge: meine zwei Vögel, mein neues Kleid, die Steinwerkzeuge, meine Halsperlen und Ohrringe, die Kormoranfedern und alle meine Körbe und Waffen. Da die Abalonen noch nicht trocken waren, musste ich sie zurücklassen. Nachdem ich alles gepackt und neben dem Loch unter dem Zaun bereitgestellt hatte, kehrte ich auf die Bergkuppe zurück. Ich legte mich bäuchlings auf den großen Stein, um von unten nicht gesehen zu werden, und spähte nach Norden. Ich fand das Schiff nicht gleich. Dann erkannte ich, dass es schneller fuhr, als ich gedacht hatte. Es segelte schon um die Salzkrautbank vor den beiden Felsen, welche die Korallenbucht beschützen. Der letzte Sonnenstrahl streifte die roten Segel und den Bug des Schiffes. Der Bug sah aus wie ein Vogelschnabel. Ich wusste, dass die Aleuter in der Dunkelheit nicht an Land kommen würden und dass ich bis zum Morgen Zeit hatte, meine Habseligkeiten in die Höhle zu tragen. Dennoch wartete ich nicht länger. Ich war die halbe Nacht unterwegs, da ich nicht alles auf einmal mitnehmen konnte. Im Morgengrauen, nachdem ich mein Gepäck in der Höhle untergebracht hatte, kehrte ich ein letztes Mal zum Haus zurück. Ich scharrte die Asche in die Erde und streute Sand über die Gestelle und den Boden der Hütte. Dann holte ich die Muschelschalen, mit denen ich die Möwen verscheucht hatte, von den Pflöcken herunter und warf sie zusammen mit der ganzen Abalone-Ernte über die Klippe ins Meer. Zuletzt wischte ich mit einem Pelikanflügel die Spuren meiner Füße fort. Als ich fertig war, sahen das Haus und der Vorplatz verlassen und öde aus, so als hätte hier seit langer Zeit kein Mensch gelebt. Inzwischen war die Sonne aufgegangen. Ich lief zur Bergkuppe und kletterte auf den Felsblock. Das Schiff lag in der Bucht vor Anker. Kanus brachten Waren an Land. Einige befanden sich schon draußen in den Salzkrautbänken, wo die Jagd auf die Otter begonnen hatte. Am Strand brannte ein Feuer und neben dem Feuer stand ein Mädchen. Es rührte in einem Topf. Ich konnte den Widerschein des Feuers in seinem Haar sehen. Schnell kletterte ich vom Felsblock herunter. Seit ich allein auf der Insel lebte, vor allem aber seit ich die Höhle in der Schlucht wohnlich eingerichtet hatte, war ich stets darauf bedacht gewesen, keine Spuren zu hinterlassen. Aus diesem Grund hatte ich auch keine eigentlichen Pfade angelegt, sondern jedes Mal einen anderen Weg gewählt, wenn ich zur Bucht oder zur Bergkuppe oder in die Schlucht ging. Jetzt folgte ich dem Rand der Klippe bis zum Hügel oberhalb der Schlucht und arbeitete mich dann vorsichtig durch das Gestrüpp zur Quelle hinunter. Wegen Rontu machte ich mir keine Sorgen. Die Aleuter wussten, dass es auf der Insel Hunde gab, und würden an seinen Spuren nichts Besonderes finden. Die Höhle war sehr finster und Rontu ließ sich nur widerstrebend durch die Öffnung zerren. Zuerst musste ich ein paarmal hinein-und wieder herauskriechen, ehe er sich entschloss, mir zu folgen. Als wir beide drinnen waren, schichtete ich Steine vor das Loch. Ich war todmüde, deshalb legte ich mich gleich nieder und schlief den ganzen Tag. Ich schlief, bis die ersten Sterne durch die Felsspalten schimmerten.
Kapitel 21
Ich nahm Rontu nicht mit, als ich in der Nacht die Höhle verließ, und ich sperrte den Eingang hinter mir zu, damit er mir nicht nachlaufen konnte. Ich fürchtete, er würde die Hunde der Aleuter wittern und Lärm schlagen. Damals wusste ich noch nicht, dass die Aleuter keine Hunde mitgebracht hatten. Ich schlich leise durch das Gestrüpp auf die Bergkuppe zurück. Vom
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