Insel der blauen Delphine
vor den Jägern. Sie trat nahe an mich heran und berührte meinen Arm. Ihre Berührung war mir zuwider. Sie sagte noch ein paar Wörter, lächelte, drehte sich um und ging zur Quelle, wo sie trank. Im nächsten Augenblick war sie zwischen den Büschen verschwunden. Rontu machte keinen Versuch, ihr zu folgen. Sie verschwand ohne einen Laut. Ich kroch in die Höhle und begann, meine Körbe zu packen. Es blieb mir genügend Zeit dafür, denn die Männer arbeiteten den ganzen Tag und kehrten erst am Abend in ihr Lager zurück. Bei Einbruch der Dämmerung war ich bereit. Ich wollte das Kanu holen und nach der westlichen Seite der Insel rudern. Dort konnte ich auf den Felsen schlafen, bis die Aleuter fortgingen. Wenn es sein musste, konnte ich jeden Tag an einer anderen Stelle schlafen. Ich trug fünf Körbe die Schlucht hinauf und versteckte sie in der Nähe meines Hauses. Inzwischen war es finster geworden, aber ich musste ein letztes Mal in die Höhle zurück, um die zwei noch dort verbliebenen Körbe zu holen. Vorsichtig bewegte ich mich durch das Gestrüpp. Über dem Eingang blieb ich stehen und lauschte. Rontu neben mir lauschte ebenfalls. Kein Mensch, der nicht seit Langem in der Gegend wohnte, konnte sich nachts lautlos durch das Gestrüpp schleichen. Rontu und ich lauschten angestrengt, doch wir hörten nichts. Ich ging an der Quelle vorbei, wartete eine Weile und schritt dann auf die Höhle zu. Jemand war hier gewesen, das spürte ich. Jemand war hier gewesen, seit ich die Schlucht das letzte Mal verlassen hatte. Die Aleuter konnten sich im Dunkel versteckt haben und mich beobachten. Ich hatte solche Angst, dass ich die Höhle nicht zu betreten wagte. Als ich mich umdrehte, um wegzulaufen, sah ich etwas vor der Öffnung liegen, auf dem flachen Stein, den ich als Stufe benutzte. Es war eine Halskette aus schwarzen Steinen, wie ich sie noch nie gesehen hatte.
Kapitel 22
Die Höhle betrat ich nicht. Auch die Kette auf dem Stein rührte ich nicht an. Ich verbrachte die Nacht auf dem Felsen, wo ich meine Körbe versteckt hatte. Am frühen Morgen kehrte ich in die Schlucht zurück. Dort verbarg ich mich auf einem Felsvorsprung, der mit Büschen bestanden war. Er befand sich dicht bei der Quelle und von seinem Rücken aus konnte ich den Eingang zur Höhle beobachten. Die Sonne ging auf. Ihre Strahlen erhellten die Schlucht. Ich sah die Halskette auf dem Stein liegen. Die schwarzen Steine sahen jetzt noch schwärzer aus als in der Nacht. Es waren viele. Ich wäre gern hinuntergegangen, um sie zu zählen und um zu sehen, ob die Kette lang genug für zwei Schlingen war, aber ich widerstand der Versuchung und rührte mich nicht vom Fleck. Den ganzen Morgen lag ich wartend auf dem Felsen. Als Rontu bellte, stand die Sonne schon über uns. Ich hörte Schritte unter mir und dann kam das Mädchen singend aus dem Gebüsch hervor. Es näherte sich der Höhle, aber als es die Halskette auf dem Stein liegen sah, verstummte es. Es hob die Kette auf, legte sie wieder hin und spähte durch das Loch in die Höhle. Meine beiden Körbe standen immer noch dort. Dann ging es zur Quelle, trank und bewegte sich auf das Gebüsch zu, aus dem es gekommen war. Ich rutschte den Abhang hinunter. Ich sprang auf die Füße. “Tutok! “, rief ich. “Tutok!” Das Mädchen musste hinter den Büschen gewartet haben, denn fast im gleichen Augenblick kam es wieder zum Vorschein. Ich lief auf den Stein zu, legte mir die Kette um den Hals und drehte mich um, damit es mich bewundere. Die Kette war so lang, dass ich sie mir nicht zweimal, sondern dreimal um den Hals schlingen konnte. Die Kugeln waren länglich und oval statt rund wie unsere Glasperlen; um sie zu formen, musste jemand sehr geschickt gewesen sein und lange daran gearbeitet haben. “Wintscha”, sagte das Mädchen. “Wintscha”, antwortete ich und das Wort klang seltsam in meinem Munde. Dann sagte ich das Wort, das in unserer Sprache “hübsch” bedeutet. “Win-tai”, sprach mir das Mädchen nach und lachte, weil es das Wort merkwürdig fand. Darauf berührte das Mädchen die Halskette und sagte mir sein Wort dafür und ich sagte ihm das Wort in unserer Sprache. Wir zeigten auch auf andere Dinge - auf die Quelle, die Höhle, auf eine fliegende Möwe, auf die Sonne und den Himmel und den schlafenden Rontu - und tauschten unsere Wörter dafür aus und lachten, weil sie so verschieden klangen. Wir saßen auf dem Stein und spielten dieses Spiel, bis die Sonne im Westen stand. Dann
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