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Insel der blauen Delphine

Titel: Insel der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott O Dell
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mich jetzt sicherer. Seit meiner Entdeckung am Eingang der Schlucht hatte ich noch zweimal Fußspuren gefunden, doch nie in der Nähe der Höhle. Und da die Winterstürme vor der Tür standen, würden die Aleuter wohl bald wegfahren. Ich war überzeugt, dass sie noch vor dem nächsten Mond absegeln würden. Ich hatte das Kleid noch nie bei Tag gesehen. Es war schwarz, doch darunter schimmerte es grün und golden und auf den Federn lag ein Glanz wie von brennendem Feuer. Es war noch schöner, als ich gedacht hatte. Nun, da es beinahe fertig war, ging die Arbeit rasch voran, obgleich ich es dazwischen immer wieder an meinen Körper halten musste, um zu sehen, wie es sich an mir ausnahm. “Rontu”, sagte ich, vor Freude ein bisschen durcheinander, “wenn du kein Rüde wärst, so würde ich dir auch ein Kleid nähen, so schön wie meines. ” Rontu, der schlafend vor dem Höhleneingang lag, hob den Kopf, gähnte mich an und schlief wieder ein. Ich stand im Sonnenlicht und hielt eben den Rock an mich, als Rontu aufsprang. Ich hörte Schritte. Das Geräusch kam vom Bach her, und als ich mich blitzschnell umdrehte, sah ich das Mädchen. Es stand oben zwischen den Büschen und schaute zu mir herab. Mein Speer lehnte griffbereit am Eingang der Höhle. Das Mädchen stand kaum zehn Schritte von mir entfernt und ich hätte mit einer einzigen Bewegung den Speer packen und schleudern können. Warum ich es nicht tat, weiß ich nicht, da doch das Mädchen zu den Aleutern gehörte, die meine Leute in der Korallenbucht getötet hatten. Es sagte etwas. Da verließ Rontu seinen Platz vor der Höhle und ging langsam auf das Mädchen zu. Das Fell sträubte sich ihm im Nacken, dennoch ging er zu dem Mädchen und ließ sich von ihm streicheln. Das Mädchen schaute mich an. Dann machte es eine Bewegung mit der Hand, als wollte es sagen, Rontu gehöre jetzt ihm. “Nein!”, schrie ich und schüttelte heftig den Kopf. Ich erhob den Speer. Das Mädchen machte eine halbe Drehung und ich dachte, es würde jetzt gleich davonlaufen, aber dann machte es wieder eine Bewegung mit der Hand, was wohl heißen sollte, dass Rontu mir gehöre. Ich glaubte ihm nicht. Ich hielt den Speer wurfbereit über der Schulter. “Tutok”, sagte das Mädchen, wobei es mit dem Finger auf sich deutete. Ich sagte ihm meinen Namen nicht. Ich rief Rontu und er trottete zu mir zurück. Das Mädchen schaute erst Rontu an, dann mich und lächelte. Es war älter als ich, aber kleiner. Es hatte ein breites Gesicht und kleine, sehr dunkle Augen. Beim Lächeln zeigte es die Zähne und ich sah, dass sie vom vielen Sehnenkauen abgeschliffen waren, aber sie glänzten weiß wie das Innere einer Muschel. In einer Hand hielt ich noch immer das Kormorankleid und das Mädchen deutete mit dem Finger darauf und sagte etwas. “Wintscha”, sagte es. Es klang ähnlich wie das Wort, das in unserer Sprache “hübsch” heißt. Ich war so stolz auf das Kleid, dass ich an nichts anderes mehr dachte. Der Speer befand sich noch in meiner Hand doch ich beachtete ihn nicht, ich hielt das Kleid hoch, sodass die Sonne von allen Seiten darauf fiel. Das Mädchen sprang vom Felsen herunter, kam auf mich zu und berührte das Kleid. “Wintscha”, sagte es wieder. Ich sagte nichts. Da ich sah, wie gern das Mädchen mein Kleid angefasst hätte, gab ich es ihm. Es hielt es an sich und drehte sich damit hierhin und dort. Es war sehr zierlich gebaut und das Federkleid tanzte um seine Gestalt wie schäumendes Wasser. Aber ich hasste die Aleuter und nahm ihm das Kleid wieder fort. “Wintscha”, sagte das Mädchen. Ich hatte schon so lange keine Worte mehr aus eines anderen Menschen Mund vernommen, dass mich dieses Wort ganz seltsam berührte. Es tat gut, es zu hören, auch wenn der Mensch, der es aussprach, mein Feind war. Die Aleuterin sagte noch andere Wörter, die ich nicht verstand. Beim Sprechen blickte sie über meine Schulter hinweg zur Höhle. Sie zeigte auf die Höhle, dann auf mich und tat, als zünde sie ein Feuer an. Ich wusste, was sie von mir hören wollte, aber ich sagte es nicht. Sie wollte wissen, ob ich in der Höhle wohne, damit sie die Männer holen und mich in ihr Lager schleppen lassen konnte. Ich schüttelte den Kopf und deutete in die Ferne, nach der äußersten Spitze der Insel, denn ich traute ihr nicht. Sie schaute immer noch zur Höhle hinüber, sagte jedoch nichts mehr. Ich hielt den Speer, mit dem ich sie töten konnte, in der Hand. Ich tötete sie nicht, trotz meiner Angst

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