Insel der Freibeuter
Flüche.
Schmähungen und Flüche, die dem »Schwein Pe-
drárias« und der »Hure Matamoros« galten.
Unter ihresgleichen machten die am Boden zerstör-
ten Margaritenos aus ihrem Herzen keine Mörder-
grube, wenn es darum ging, das »Schwein Pedrári-
as« für alles Ungemach, das sie ruiniert hatte, verantwortlich zu machen. Viele fragten sich, wie ein einziger Mann aus der ihrer Ansicht nach reichsten Insel der Erde ein Armenhaus hatte machen können.
Die unvorstellbar raffsüchtige Casa de Contrataci-
ón schien nur ein Interesse zu haben: jedes Jahr noch größere Reichtümer nach Sevilla zu schicken. Millionen fielen dabei für die täglich zahlreicher werdenden unfähigen Schmarotzer ab. Der ehrgeizige
Hernando Pedrárias schien alle Übel der Casa so
sehr in sich zu vereinen, daß auf Margarita jede
Hoffnung auf eine bessere Zukunft erstorben war.
Viele Einwohner spielten mit dem Gedanken, aufs
Festland auszuwandern, auch wenn die Nachrichten
aus Cumaná nicht gerade vielversprechend waren.
»Die Casa ist wie Gott, der an allen Orten wohnt«, fanden die Skeptiker. »Und wenn sie dir keine Perlen rauben kann, dann saugt sie dir das Blut aus.«
Im Verlauf der Geschichte mochte es den Men-
schen gelegentlich gelungen sein, sich mit Gewalt von blutdürstigen Diktatoren oder grausamen Inva-soren zu befreien, doch nie hatten sie es geschafft, die stille und unbarmherzige Tyrannei der Bürokra-tenheere abzuschütteln.
Kein Held konnte es mit dem Spinnennetz der Casa
de Contratación von Sevilla aufnehmen. Denn falls wirklich einmal einer ihrer Gesandten plötzlich verschwand, wurde er sofort von einem obskuren Nach-
folger ersetzt, der das dichte Netz noch undurch-
dringlicher webte. Die Casa war eine Hydra, der für jeden Kopf, den man ihr abschlug, zwei neue wuch-sen.
Auf eine Hürde folgte die nächste, auf einen abweisenden Beamten ein noch unzugänglicherer, auf eine schnelle Ablehnung ein langes Schweigen und auf
ein ewiges Schweigen wieder eine brüske Ableh-
nung.
Ein gordischer Knoten im tiefsten, von einer tau-
sendköpfigen Hydra bewachten Labyrinth wäre
leichter zu lösen gewesen als das komplizierte Sy-stem, das eine unangreifbare Casa de Contratación entwickelt hatte, die sich nur von ihren eigenen Leuten berauben ließ. Es war nämlich kein Geheimnis, daß auf den Frachtbriefen der Schiffe, die man nach Sevilla schickte, nur ein Viertel der tatsächlichen Ladung an Gold und Edelsteinen auftauchte. Nur für dieses Viertel, das durch den Zoll ging, legte die Casa der Krone gegenüber Rechenschaft ab.
Die übrigen drei Viertel teilte die Casa unter sich auf.
Die logische Folge dieses Raubs lag klar auf der
Hand: Margarita würde das gleiche Schicksal ereilen wie vor Jahren Hispaniola. Aus der ersten Kolonie der Neuen Welt war inzwischen eine weitgehend
entvölkerte Insel geworden, deren Einwohner größ-
tenteils vor dem unerträglichen Druck der Casa geflohen waren.
Einst schickten die steinreichen Zuckermühlen ton-nenweise »weißes Gold«, das nach der Erschöpfung
der Goldminen das gelbe abgelöst hatte, nach Spani-en, doch die unerträgliche Steuerlast, die ihnen die unersättlichen Blutsauger der habgierigen Casa de Contratación auferlegten, hatte sie schließlich in den Bankrott getrieben, fetzt rosteten die Mühlen vor sich hin, während die riesigen aufgegebenen Zuckerrohrfelder bald massenweise von Wildschweinher-
den verwüstet wurden.
Kurioserweise hatte der Ruin des Zuckerhandels
die Entstehung einer neuen florierenden Industrie zur Folge. Französische Einwanderer, die sich im
äußersten Westen der Insel niedergelassen hatten, entdeckten bald, daß man die Wildschweine jagen
und ihr Fleisch wie in der Heimat in einem boucan räuchern konnte. Dieses schmackhafte Räucherfleisch hielt sich monatelang, ohne zu verderben, und war daher bei Seeleuten sehr beliebt.
So entstand das neue Geschlecht der »Bukaniere«:
ungeschlachte, schmutzige und übelriechende Män-
ner, die in der Wildnis Hispaniolas Tiere jagten und sie in die Häfen einer Küste brachten, die von allen Schiffen der Antillen angesteuert wurde.
Doch wieder einmal war die habgierige Casa de
Contratación nicht bereit, aus ihren unendlichen
Fehlern zu lernen. Wenn die Schiffe Räucherfleisch brauchten, befand sie, sollten sie gefälligst den zä-
hen, madigen und sündteuren Speck kaufen, den sie selbst aus Sevilla importierte, und um jegliche Kon-kurrenz loszuwerden, schickte sie
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