Insel der Freibeuter
Federico de Tole-do mit einem Heer nach Hispaniola, um die mühsam
ihr Leben fristenden Bukaniere zu vertreiben.
Die lange und unbarmherzige Hetzjagd führte dazu, daß die Bukaniere mit der Zeit Festungen auf der
kleinen wilden Insel La Tortuga errichteten, die nur wenige Meilen nördlich von Hispaniola lag. Von
dort führten sie blitzschnelle Überfälle auf die Zuk-kerrohrfelder Hispaniolas durch, um sich danach
wieder auf Tortuga zurückzuziehen. Bald versorgten sich die Schiffe dort mit Proviant.
Im Lauf der Jahre stieg die befestigte Bucht von
Tortuga zum reichsten, geschäftigsten und lebenslu-stigsten Hafen der Karibik auf, während zur gleichen Zeit das einst pulsierende Santo Domingo im Däm-merschlaf versank. Die Leiter der Casa kümmerte
das allerdings herzlich wenig. Schließlich war die Neue Welt so riesig und ihre Schätze so unerschöpflich, daß es wenig ausmachte, wenn danach ganze
Landstriche und Städte wie verwüstet dalagen.
Nun schien die Reihe an Margarita gekommen.
Dort war die Perlenproduktion dramatisch zurück-
gegangen. Schuld daran waren nicht etwa plötzlich faul gewordene Austern, sondern die logische Tatsache, daß ein apathischer afrikanischer Sklave, der umsonst arbeitete, weder das gleiche Risiko einging noch den gleichen Ertrag einbrachte wie ein Taucher, der zwischen den Riffen geboren und aufge-
wachsen war und mit einem guten Tagelohn seine
Familie ernähren wollte.
Die Casa de Contratación von Sevilla hatte nie begriffen, daß ein guter Tagelohn oft eine vorzügliche Investition sein konnte. Einem Tagelöhner konnte
man nämlich nicht drei Viertel seines Gewinns rauben, ohne daß dieser protestiert hätte. So hatten sich in den Gassen von La Asuncion die gleiche Mutlosigkeit und Lethargie wie auf der übrigen Insel
breitgemacht.
Wohl aus diesem Grund wurden Sebastian Heredia
und Justo Figueroa, als sie an einem heißen Nach-
mittag La Asuncion erreichten, dort nur von fünf
räudigen Hunden und einer Herde Schweine be-
grüßt.
Ansonsten herrschte Totenstille. Keine Seele wagte sich in diesen brütendheißen Stunden auch nur unter die schattigen Arkaden der alten Steinhäuser, und lange Zeit entdeckten sie lediglich einen Bettler, der im Schatten des mächtigen Franziskanerklosters
schlief.
»Wie ein Friedhof…«, lispelte die traurige Gestalt von Justo Figueroa, der nur noch zwei Zähne hatte.
»Ist’s hier immer so tot gewesen?«
Jacare Jack schüttelte den Kopf. Nur ein einziges Mal hatte er mit seinen Eltern die Stadt besucht, und damals war sie ihm wie der lebendigste Ort des Universums vorgekommen.
Der Verfall schien das Verwaltungszentrum der In-
sel ebenso erfaßt zu haben wie die Küstendörfer, und der Margariteno konnte sich nur wundern, wie fatal sich die falsche Politik einer Handvoll Personen auf das Wohl der Mehrheit auswirken konnte.
»Die sind verrückt«, murmelte er, während ihn eine stille Wut erfaßte. »Völlig verrückt!«
Sie ließen sich im Schatten eines riesigen Kapok-
baumes nieder, der den ganzen kleinen Platz be-
herrschte, und warteten darauf, daß die Stadt am
Abend aus ihrer traurigen Lethargie erwachen wür-
de, doch nur zwei Dutzend Personen wagten es, ihre Häuser zu verlassen, obwohl eine frische, nach Blumen duftende Brise aus den Bergen wehte.
Schließlich ging Sebastián Heredia auf eine Gruppe alter Frauen zu, die ihre Stühle nach draußen gestellt hatten und gemeinsam an einer riesigen Decke stick-ten.
»Mit Verlaub…« fragte er so höflich, wie er konn-
te. »Könnt Ihr mir sagen, wo sich der Palast von
Don Hernando Pedrárias befindet?«
Sie musterten ihn sehr unfreundlich, bis Sebastián geistesgegenwärtig hinzufügte:
»Ich habe ihm eine Beschwerde zu übergeben.«
Die feindselige Haltung war plötzlich wie wegge-
blasen.
»In diesem Fall mußt du dich in der Reihe anstel-
len, mein Sohn«, bedeutete ihm die älteste. »Sein Palast liegt zwei Straßen weiter unten, neben dem Rathaus. Doch er verläßt kaum das Haus seiner Hure Matamoros. Der Blitz soll sie treffen!«
»Und wo wohnt die Matamoros?«
»In einem Steinhaus am Ausgang des Tals, auf dem
Weg nach Tacarigua. Du kannst es nicht verfehlen.
Es liegt mitten im Wald und stinkt nach Schwefel.«
Er dankte ihnen freundlich und kehrte zu seinem
krummbeinigen Begleiter zurück.
»Such dir ein Haus zum Schlafen, oder besser, spiel den Bettler, damit keiner auf dich aufmerksam wird.
Und versuch herauszufinden, wie viele
Weitere Kostenlose Bücher