Insel der Freibeuter
praktisch die einzigen, die Zugang zu den Seekarten der Casa hatten.«
Die berühmten Seekarten oder Routenbücher, auf
denen Winde, Strömungen und gefährliche Untiefen
der Karibischen See verzeichnet waren, zählten ver-ständlicherweise zu den besonders eifersüchtig ge-hüteten Geheimnissen ihrer Zeit. Eine lange Abfolge erfahrener Kartographen hatte diese Routenbücher
mit unendlicher Geduld auf der Grundlage der zahllosen, unschätzbar wertvollen Daten zusammenge-
tragen, die ihnen die spanischen Seefahrer in anderthalb Jahrhunderten Navigation an den unbekannten
und gefährlichen Küsten der Neuen Welt zur Verfü-
gung gestellt hatten.
Die Navigatorenschule der Casa de Contratación
war die einzige Einrichtung, die per Dekret unge-
hinderten Zugang zu diesem unschätzbar wertvollen Archiv hatte. Ein Navigator, der sich die wesentli-chen Informationen dieser Routenbücher im Ge-
dächtnis einprägen konnte, war daher zweifellos ein privilegierter Mann, für dessen Dienste bisweilen astronomische Summen gezahlt wurden.
Ohne die Hilfe eines solchen Mannes riskierte
selbst der beste Kapitän, mitten in der Nacht auf eine der unzähligen kleinen Inseln aufzulaufen, die kreuz und quer in der gesamten Karibik verstreut waren.
Korallenriffe versenkten wesentlich mehr Piraten-
schiffe als die Kriegsschiffe der Krone.
Einen Navigator »der Casa« an Bord zu haben war
die beste Lebensversicherung, und ein Ausrüster, der auf die Dienste eines solchen Mannes zählen konnte, hatte eine wesentlich größere Aussicht, eine gute Besatzung zusammenzustellen, als einer, der sich
mit einem Abenteurer begnügen mußte, der bei der
geringsten Unachtsamkeit auf ein Riff laufen konnte.
»Ich werde Seine Exzellenz darum bitten, uns einen guten Navigator zur Verfügung zu stellen«, schlug Pedrárias nach einer Weile vor. »So wie ich das se-he, kommen wir sonst nicht weiter.«
»Großartige Idee. Ich habe gar nicht gewagt, sie
Euch vorzuschlagen«, erwiderte der Portugiese. »Ein Mann der Küste gibt nicht gern seine Grenzen zu,
aber ehrlich gesagt, in der Karibik fühle ich mich verloren.«
Seine Exzellenz Don Cayetano Miranda Portocar-
reo verspürte wenig Lust, seinen ehemaligen Unter-gebenen zu empfangen, entschied sich dann aber auf dessen Drängen doch, ihm einige Minuten seiner
kostbaren Zeit zu opfern.
»Martin Prieto ist der einzige Navigator, der im
Augenblick zur Verfügung steht, ein ehrenwerter
Familienvater, auf den ich nicht verzichten kann.
Schon gar nicht kann ich ihn verpflichten, an einem schmutzigen Piratenabenteuer teilzunehmen. Ihr
werdet verstehen, daß ich Euch auch keine Routen-
bücher zur Verfügung stellen kann. Sie könnten
schließlich in schlechte Hände fallen.« Wie es seine Gewohnheit war, blickte er auf das Bildnis von
Monsignore Rodrigo de Fonseca, und fügte nach
langem Nachdenken hinzu: »Ich kann Euch höch-
stens den Zutritt zur Krypta gestatten und Martin Prieto darum bitten, daß er Euch über die wichtigsten Routen informiert. Aber eines muß Euch klar
sein: Ihr dürft nichts aufschreiben und müßt mir Eu-er Ehrenwort geben, daß Ihr nichts von dem, was
man Euch dort zeigt, einem anderen weitergeben
werdet.«
Die Krypta war ein großer, in das Felsfundament
der Festung San Antonio gehauener Saal, der so
hermetisch abgeschlossen war, daß man schon ton-
nenweise Sprengstoff gebraucht hätte, um ihn auf
anderem Wege zu betreten als über eine Wendel-
treppe, die durch zwei schwere Eisengitter und eine massive Holzpforte führte. Ein Soldat, der Tag und Nacht am Eingang Posten stand, hatte den strikten Befehl, das Archiv in Brand zu stecken, falls auch nur die leiseste Gefahr bestand, es könne in feindliche Hände fallen.
Im Archiv herrschte eine trockene Luft mit stets
gleichbleibender Temperatur, um die unschätzbar
wertvollen Dokumente vor Fäulnis zu bewahren.
Jedesmal, wenn der strenge Martin Prieto eintrat, um ein Buch zu entnehmen, erhellte der Wächter mit
einer Kerze den Raum, ohne auch nur einen Augen-
blick die Schwelle zu verlassen, und wachte streng darüber, daß der Navigator nur jeweils eine Seekarte oder ein Routenbuch mit nach draußen nahm.
Zehn Meter höher und wieder bei Tageslicht, nah-
men der Navigator und Hernando Pedrárias an ei-
nem langen Tisch Platz. Mit Hilfe einer großen Vo-gelfeder erklärte der eine dem anderen die Merkmale der Karten und Bücher, die er dabei kaum berührte.
Den stets finster
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