Insel der Freibeuter
nach Cumaná zurück, wo er
befriedigt feststellte, daß sein getreuer Sekretär Lautario Espinosa alle Anweisungen genauestens be-
folgt hatte. Im nahen Golf von Paria lag eine stolze Brigg vor Anker, bewaffnet mit 32 vierundzwan-zigpfündigen und 28 sechsunddreißigpfündigen Ka-
nonen.
Ihr Kapitän, Joáo de Oliveira, ein schielender und sehr schmutziger Mann aus Lissabon, war bekannter unter dem Namen Tiradentes, da er die Gewohnheit
hatte, eine schwere Verfehlung damit zu bestrafen, daß er dem Missetäter einen Zahn zog. An der Küste Brasiliens genoß er einen gewissen Ruf, weniger
seiner Heldentaten wegen, sondern vielmehr, weil er der erste »Christ« war, der geradezu eine Sucht entwickelte, die bitteren Blätter zu kauen, mit denen die Indios der Anden Hunger- und Durstgefühle be-kämpften. Tiradentes hatte im Bordell von Candela Fierro sein Quartier aufgeschlagen, weil er an Land keinen Schlaf fand, wenn er nicht wenigstens drei Huren im Bett hatte. Als der Ex-Gesandte der Casa de Contratación von Sevilla bei ihm auftauchte,
mußte er die Mädchen förmlich mit Tritten aus dem Zimmer treiben und fand nichts dabei, noch splitter-nackt geräuschvoll in ein Becken zu urinieren.
»Ich versichere Euch, die Botafumeiro ist wahr-
scheinlich das beste Schiff auf dieser Seite des Ozeans.«
»Besser als die Jacare?« wollte Don Hernando so-
fort wissen. Er beugte sich aus dem Fenster und betrachtete den Fluß, um das schamlose Schauspiel
hinter seinem Rücken nicht mit ansehen zu müssen.
»Ich kenne die Jacare nicht«, entgegnete der Portugiese, während er sich in aller Gemächlichkeit an-kleidete. »Aber wie ich gehört habe, segelte sie mit allen Winden gut. Das kann ich auch, aber meine
Feuerkraft ist doppelt so groß.« Er ließ ein Rülpsen hören, das nach billigem Fusel stank. »Der Zustand meiner Besatzung ist allerdings prekär. Ich brauche Leute.«
»Wie viele?«
»Mindestens achtzig. Vor allem Männer für Segel
und Geschütze.«
»Ich glaube nicht, daß wir die in Cumaná finden
werden.«
»Natürlich nicht!« bestätigte Tiradentes, zog sich die Stiefel an und sprang auf die Beine. »Das habe ich schon versucht, aber es gibt nur zwei Häfen, in denen man eine gute Mannschaft anheuern kann:
Tortuga und Port-Royal. Ich persönlich bin für Tortuga.«
Die bloße Erwähnung der kleinen Insel, auf der
sich pro Quadratmeter die meisten Todfeinde der
Casa de Contratación von Sevilla aufhielten, war
schon genug, Don Hernando Pedrárias den Magen
umzudrehen. Er starrte in das spöttische Lächeln
eines abstoßenden Mannes, dessen riesige Zähne die Kokablätter für immer schwarz gefärbt hatten.
»Tortuga?« wiederholte er sichtlich beunruhigt.
»Haltet Ihr es für ratsam, dort vor Anker zu gehen, wo unsere Mission darin besteht, ein Piratenschiff zu verfolgen und zu vernichten?«
Der andere spuckte in das Urinbecken, ohne das
fast beleidigende Lächeln abzustellen.
»Port-Royal wäre schlimmer! Alle, die vor Tortuga ankern, wären glücklich, sich gegenseitig beim geringsten Anlaß zu versenken, und kein Pirat wird
den Tod eines Jacare Jack beklagen. Im Gegenteil: Sie würden auf seinem Grab tanzen. Gehen wir einen trinken.«
Dankbar begrüßte Don Hernando Pedrárias die Ge-
legenheit, das Zimmer, in dem es nach Schweiß,
Wollust und Urin roch, verlassen zu können. Als sie im Schatten eines Samanbaums Platz nahmen, dessen Wurzeln der Fluß Manzanares umspülte, ging es ihm schon wieder besser.
Einen Augenblick lang schoß ihm jener andere
Manzanares bei Madrid durch den Kopf, in dem er
als Junge des öfteren mit den Söhnen des Herzogs
von Alhumada gebadet hatte, und er mußte sich fragen, wie er nur so tief hatte sinken können.
Der Portugiese schien zu begreifen, daß der andere Zeit zum Nachdenken brauchte. Nach längerem
Schweigen fragte Don Hernando mißmutig:
»Was ist, wenn sie mich in Tortuga an Bord ent-
decken?«
»Dann eröffnen sie das Feuer auf die Botafumei-
ro«, kam es rasch zurück. »Aber deswegen braucht
Ihr Euch keine Sorgen zu machen, denn ich bin dort der einzige, der weiß, wer Ihr seid. Sobald Ihr an Bord kommt, müßt Ihr Euren Namen ändern.«
»Meinen Namen kann ich wohl ändern, aber nicht
den Akzent. Ich spreche nur Spanisch.«
»Wahrscheinlich wimmelt es in Tortuga nur so vor
spanischen Renegaten. Die meisten Steuermänner
sind abtrünnige Spanier, denn sonst kämen sie in
diesem Archipel nicht zurecht. Sie sind
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