Insel der glühenden Sonne
wem?«
»Bin doch nicht dein verdammter Türsteher«, knurrte der andere.
»Schon gut, immer mit der Ruhe.«
Louise wartete nervös vor dem schmierigen Tresen, bis sich Bailey, ein kleiner, drahtiger Kerl mit scharfen Augen, zu ihnen gesellte. Er trug eine schwarze Matrosenmütze mit roter Quaste und einen langen Mantel, der ihm zu groß war. Er grinste und erinnerte sie dabei an ein Frettchen.
»Hallo, wen haben wir denn da?«
Louise errötete und war dankbar für das Dämmerlicht. »Ich habe eine Nachricht für Sie, Mr. Bailey. Sie sind doch Mr. Bailey?«
»Höchstpersönlich. Welche Nachricht und von wem?«
»Von Mr. Shanahan, Warboy-Farm.«
»Von Mr. Shanahan? Schickt mir die hübscheste Botin der Stadt. Was will er denn von mir?«
Louise trat von einem Fuß auf den anderen. »Er möchte wissen, was mit Angus McLeod passiert ist.«
»Ach so. Warum ist Sean denn nicht selbst gekommen?«
»Auf der Farm scheint es neue Regeln zu geben. Er darf sie nicht mehr allein verlassen.«
»Er hatte es schon zu gut dort drüben, das konnte ja nicht so weitergehen. Nun zu Angus. Sagen Sie Sean, sie haben ihn zuerst mal in die Mangel genommen. Er ist schon so gut wie weg.«
»Wohin?«
»Port Arthur.«
Sie zuckte zusammen. »Das ist ein schlimmer Ort, nicht wahr?«
»Der schlimmste von allen. Einige der Aufseher von Norfolk Island sind dort. Als Gott diese Männer erschuf, hat er was vom Teufel reingemischt.«
Louise kämpfte mit den Tränen. »Das ist ja furchtbar. Sean sagte, Angus sei unschuldig.«
»Das sieht der Richter anders. Er hat lebenslänglich bekommen, Miss!«
»Wofür? Was hat er getan?«
Bailey lugte von unten herauf. »Laut Shanahan gar nichts.«
»Aber was hat man ihm vorgeworfen?«, beharrte sie.
Er sog an seiner Zunge. »Mal sehen, was war das doch gleich? Ja, er hat jemandem Gewalt angetan. Genau, das war es.«
»Sie meinen, er hat sich geprügelt?«
Er nickte. »Kann man so sagen. Wie heißen Sie, Miss?«
»Louise Harris. Wir haben eine Farm in der Nähe der Warboys. Aber man bekommt doch gewiss nicht lebenslänglich, nur weil man sich geprügelt hat.«
»Wenn jemand ernsthaft verletzt wird, schon. Aber hören Sie mal, Sie sind doch mit Shanahan befreundet, oder?«
»Ja.«
»Dann sagen Sie ihm bitte, dass in der Schnapsbude ein Brief für ihn liegt.«
Louise riss die Augen auf. Solche Orte erwähnte man in guter Gesellschaft nicht, doch sie hatte gelesen, dass es in Hobart viele dieser illegalen Kneipen gab.
Sie holte tief Luft. »Weiß er, welche gemeint ist?«
Bailey lachte. »Und ob, Miss.«
Als sie zu ihrem Pferd zurückging, tauchte die Sonne hinter einer Wolkenbank auf und vertrieb die Kühle. Alles sah auf einmal bunt und fröhlich aus, der Himmel, das Wasser im Hafen, die Menschenmenge – doch Louise konnte es nicht genießen.
Sean schien in einer anderen Welt zu leben, die nichts mit seiner Farmarbeit zu tun hatte. Er hatte gewusst, dass Markttag war, wen er nach Neuigkeiten fragen musste, wo die Schnapsbuden zu finden waren. Er kannte sogar Prostituierte. Sie hatte nicht vergessen, wie er mit jener schrill gekleideten Frau gesprochen hatte. Erst jetzt begriff Louise, dass alle Sträflinge ein Doppelleben führten, was sie ungeheuer faszinierte.
Und sie hatte etwas Nützliches erfahren. Ihr Vater konnte niemand wirklich verletzt haben, sonst wäre er wie Angus zu einer lebenslänglichen Strafe verurteilt worden. Was wiederum bewies, dass er kein schlechter Mensch war. Er war eben von Natur aus temperamentvoll, was ihm unter den gegebenen Umständen leider nicht gerade zugute kam.
Als sie aus der Stadt ritt, kam sie an der Kirche vorbei und überlegte, ob sie dort für ihren Vater ein Gebet sprechen sollte. Aber zu Hause wartete viel Arbeit auf sie.
Da Sean an diesem Nachmittag Louise nicht treffen konnte, schickte er Singer Forbes. Man hatte ihn in Mr. Warboys Büro bestellt, wo man ihm die Liste neuer Vorschriften
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