Insel der glühenden Sonne
anstanden. Sie betete, dass man ihr die Sachen nicht wegnehmen möge. In der Kutsche saßen sie und Miss Penn Mr. Warboy gegenüber. Die ganze Fahrt über presste Marie die Hände so fest zusammen, dass ihr die Knöchel Tage später noch wehtaten.
Dabei war die ganze Angst umsonst gewesen, dachte sie nun, als sie den warmen Sand fröhlich zwischen den Fingern hindurchrinnen ließ und ihren Schützling im Auge behielt, der im flachen Wasser planschte, ohne sich um sein Kleid zu kümmern.
Marie lächelte nachsichtig. Miss Penn wirkte wie ein Vogel, den man aus dem Käfig gelassen hatte. Und wenn sie ihr Kleid beschmutzte, würde Marie es waschen und wieder alle Rüschen herrichten. Sie dachte zurück an die harten Stunden in der Gefängniswäscherei und hätte am liebsten vor neu gewonnener Lebensfreude gejauchzt.
Wieder erinnerte sie sich an die Fahrt nach Hobart. Wie paradox: Sie selbst hatte gefürchtet, in der Fabrik zu landen, und war angenehm überrascht worden, während Miss Penn alles für einen Ausflug hielt, obgleich man sie in Wirklichkeit abschob.
»Für weiße Pferde kriegst du zehn Punkte.«
Ihr Großvater verzog ungeduldig das Gesicht, da er nur ungern an ihr kindliches Gemüt gemahnt wurde.
Selbst als sie schließlich fragte, wohin sie führen, antwortete er knapp: »An den Strand.«
»Oh.« Es war nicht herauszuhören, ob Penn die Vorstellung gefiel oder nicht, sie zählte weiter ihre Pferde.
»Ich habe ein Haus in Sandy Bay«, erklärte er Marie. »Es liegt am Strand. Sie werden dort als Penns Haushälterin wohnen. Ich nehme an, Sie können kochen?«
»Ja, Sir«, antwortete Marie eifrig. Sie hatte dann und wann in der stinkenden Gefängnisküche ausgeholfen. »Werden wir nur zu zweit dort leben?«
»Richtig. Und sich wie junge Damen benehmen. Bei der ersten Klage werden Sie ersetzt, verstanden?«
»Selbstverständlich, Sir.«
Ihr Herz hämmerte in der Brust. Sie konnte das alles erst glauben, als sie es mit eigenen Augen sah. Der Schritt von der höllisch überfüllten Frauenfabrik, in der alle nur ums Überleben kämpften, zur Zofe dieser traurigen, kleinen Gestalt hatte sie in eine andere Welt geführt. Eine Welt, die sie erst langsam erfasste. Sie hatte nie ohne Boss gelebt, war vom Waisenhaus ins Armenhaus und von dort auf das grauenvolle Schiff weitergereicht worden.
Doch nun würde sie anfangen, diese Geschehnisse aus ihrer Erinnerung zu tilgen.
»Sie müssen nett zu ihr sein«, sagte Mr. Warboy unvermittelt. »Sie scheinen eine freundliche junge Frau zu sein und dürfen sie unter gar keinen Umständen schlagen. Denken Sie dran, ich passe auf.«
Während die Kutsche weiterrollte, erklärte er, dass sie jede Woche Vorräte von Mr. Pollard erhalten würden, der auch für sämtliche Anfragen zuständig sei.
»Werden Sie uns besuchen, Mr. Warboy?«
Er hüstelte. »Hm, nun ja, wir werden sehen.«
»Seht nur«, rief Penn, »da sind Wallabys. Können wir anhalten und sie streicheln?«
»Nein, dazu ist keine Zeit«, erwiderte ihr Großvater.
»Sicher, wir wollen ja an den Strand. Wie weit ist es denn noch?«
Hunter brachte sie zu Pollards Laden, wo man sie zu Maries Überraschung aufforderte, die Kutsche zu verlassen. Hunter lud das Gepäck ab.
Penn betrat den Laden. »Das ist aber nicht der Strand«, rief sie und lutschte am Daumen.
»Du kommst bald hin«, meinte ihr Großvater nervös. »Ich muss jetzt nach Hause.« Er tätschelte ihr verlegen den Kopf, nahm eine bunte Bonbondose vom Tresen und gab sie ihr. »Sei jetzt ein braves Mädchen.«
Er wandte sich an Marie und gab ihr eine kleine Geldbörse. »Hier sind fünf Shilling, Miss Cullen, Ihr Lohn. Mr. Pollard wird Sie von nun an jede Woche bezahlen. Und Sie kümmern sich gut um Penn, nicht wahr?«
Er sah seine Enkelin an, die am Deckel der Dose herumfingerte, und ging leise hinaus zur Kutsche. Hunter ließ die Peitsche knallen, dann waren sie verschwunden.
»Kommt Großpapa nicht mit zum Strand?«
»Nein, er hat zu tun«, antwortete Mr. Pollard. »Aber wenn die Damen nun in meinen Buggy steigen möchten.
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