Insel der glühenden Sonne
amüsant. Die meisten Leute hatten keine Ahnung, was weibliche Sträflinge durchmachten. Von Kind an hatte sie gelernt, stets auf Angriffe gefasst zu sein, und nie so gut geschlafen wie in den wenigen Nächten, die sie auf Mr. Warboys Farm verbracht hatte. Dort fühlte sie sich sicher, zum ersten Mal in ihrem Leben.
»O nein, ich bin nicht ängstlich. Ich mag zwar nicht stark aussehen, kann mich aber gut wehren. Darin bin ich geübt.«
Sie döste in der Sonne, bis Penn sie rief.
»Darf ich spazieren gehen?«
»Sicher doch. Ich komme mit. Aber nur ein kleines Stück, dann müssen wir zum Mittagessen.«
»Ich möchte aber bis zum großen Haus.«
»Na schön.«
»Was gibt es heute zu Mittag?«
»Eintopf mit Brot.« Sie breitete die Arme aus und rief: »Brot mit ganz viel Butter!«
Penn strahlte. »Und Marmelade!«
»Warum nicht?«
»Und Kekse?«
»Klar, wir räumen die Vorratskammer leer!«
Penn wirbelte herum. »Das wird ein Spaß! Schnell, lass uns rennen!«
»Nicht rennen! Ich dachte, du willst dir das große Haus ansehen.«
»Ich bin zu hungrig.« Sie ergriff Maries Arm. »Ich wohne gern hier, es ist am allerschönsten. Und du bist nett. Wo sind deine Mama und dein Papa?«
»Im Himmel.«
»Du meine Güte, das ist aber traurig. Bist du deshalb so ein Niemand wie Dossie?«
»Dossie ist kein Niemand, sie ist ein Mensch. Ein wahrhaft guter Mensch.«
»Nein«, entgegnete Penn entschieden, »meine Mutter sagt, alle Sträflinge sind Niemande.«
»Dann irrt sich deine Mutter«, sagte Marie sanft, obwohl sie eine instinktive Abneigung gegen Penns Mutter fasste. »Sie irrt sich sogar sehr, weil wir alle Gottes Kinder sind. Der Herr liebt Sträflinge genau wie dich.«
»Da bin ich froh«, meinte Penn nachdenklich. »Ich bin froh, dass er Angus auch lieb hat.«
Marie seufzte. Nicht schon wieder.
Dossie hatte ihr die Geschichte von Angus McLeod, dem Vergewaltiger, erzählt, doch Sean hatte widersprochen. Er glaubte nicht, dass Angus das Mädchen auch nur angefasst hatte.
»Sie lügt.«
»Es wäre grausam, einen Unschuldigen so zu vernichten.«
»Gott weiß, warum sie das getan hat. Sieh zu, ob du etwas herausfinden kannst.«
Doch nun, da sie Penn besser kannte, brachte Marie es nicht über sich, sie auszuhorchen. Sie hatte schnell gemerkt, wie geistesschwach das arme Ding war, und wollte nicht weiter in sie dringen.
Marie hatte schon öfter Frauen erlebt, die so geboren waren oder durch schlimme Erfahrungen den Verstand verloren hatten. Penn gehörte eindeutig in diese Gruppe, obwohl sie noch Kontakt zur Realität hielt. Andererseits wusste Marie, dass jede Erschütterung einen Zusammenbruch bedeuten konnte, und wenn sie an die bevorstehende Geburt dachte, zog sie es vor, Penn sanft darauf vorzubereiten, statt sie mit Fragen zu quälen.
Das Mädchen erwähnte nie einen anderen Mann als Angus, sodass Marie bei allem Respekt gegenüber Seans Überzeugung nicht daran zweifelte, dass McLeod der Vater war. Andererseits war sie beinahe sicher, dass Penn nicht vergewaltigt worden war. Sie kannte sich damit aus, und das Mädchen zeigte nichts von dem andauernden Entsetzen, das Schmerz und Angst hinterlassen, zuckte nicht zusammen, wenn unvermittelt eine Männerstimme erklang. Penn ging offen und freundlich mit Sam um, wann immer sie ihm begegnete.
Aber das war alles vorbei, sie musste an die Zukunft denken und gab Penn lieber behutsame Ratschläge, wie sie ihren Körper pflegen und sich schonen sollte, während das Kind in ihrem Leib heranwuchs. Penn reagierte leider vollkommen ungläubig auf diese Andeutungen.
Auf der ersten Einkaufsliste, die sie Sam aushändigte, standen Wolle und Nadeln, weil sie Penn das Stricken beibringen wollte, dazu Papier und Schreibzeug für den Unterricht. Sam wusste allerdings nicht, dass die Listen von Penn selbst stammten und sie dabei war, Marie Lesen und Schreiben beizubringen.
Sie aßen in der Küche, und Marie räumte gerade auf, als Penn, die sich eigentlich
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