Insel der glühenden Sonne
und nur in seiner Praxis arbeiten könnte. Angesichts der Zahl der freien Siedler in Hobart wäre dies sogar lukrativer und weit weniger anstrengend.
Doch er hatte miterlebt, wie fahrlässig und geradezu sadistisch andere Ärzte mit den Sträflingen umgingen, was ihn derart entsetzte, dass er aus purem Mitleid blieb. Bislang waren seine Beschwerden auf taube Ohren gestoßen, doch er konnte immerhin verlangen, dass man bei Bestrafungen die Regeln einhielt und nicht jeder Laune nachgab. Manchmal hatte er kranke Gefangene vor grausamen Quacksalbern retten können. Allyn war stolz auf seinen Beruf, dachte aber schaudernd an die Qualen, die so genannte Ärzte hilflosen Sträflingen zugefügt hatten. Er wandte sich vom Fenster ab, weg von den verstörenden Bildern, und sammelte die Krankenakten ein.
Sein Vater war kürzlich aus Melbourne zu Besuch gewesen und hatte sich enttäuscht gezeigt.
»Ich habe nicht das ganze Geld investiert, damit du in London Medizin studierst und danach so etwas Armseliges machst. Ich finde, du solltest nach Hause kommen und anständige Bürger versorgen.«
Sie stritten lange und erbittert, wobei Allyn zu erklären versuchte, dass er hier gebraucht werde, weil es in Hobart nicht nur an Gerechtigkeit, sondern auch an fachkundigen Ärzten mangele.
»So ein Unsinn. Das ist doch nicht deine Sache! Für mich klingt es, als würdest du dich in alles einmischen. Zu Hause kannst du auch nicht ins Krankenhaus marschieren und die Entscheidungen anderer Ärzte kritisieren, von denen die meisten viel mehr Erfahrung haben als du. Wieso glaubst du, du könntest dich hier so aufführen?«
»Du verstehst es eben nicht. Hier ist alles anders.«
»In welcher Hinsicht? Weil du hier deine Zeit an Mörder verschwendest?«
»Mein Gott, Vater, das sind keine Mörder.«
»Die meisten schon.«
»Nein, die meisten Mörder werden gehängt. Unsere Regierung verschwendet kein Geld für die Deportation von Mördern. Sie deportieren Verbrecher und kleine Diebe, sogar Frauen und Kinder, und weißt du warum? Weil die englischen Gefängnisse überfüllt sind und hier draußen billige Arbeitskräfte gebraucht werden.«
»Verdammter Quatsch«, schäumte sein Vater, »wenn das stimmt, was ist dann mit Port Arthur? Es heißt, da kämen nur die allerschlimmsten Verbrecher hin. Nun sag mir nicht, die wären alle unschuldig.«
»Du legst meine Worte absichtlich falsch aus. Port Arthur ist für echte Verbrecher, die hier weitere Straftaten begangen haben, also könnten auch Mörder darunter sein. Aber ich rede nicht von diesem Gefängnis, sondern …«
»… vom Abschaum. Sag ich doch. Du bist kein Priester oder Anwalt. Ich finde, diese Strafkolonie hat einen schlechten Einfluss auf dich. Ich glaube, du gehörst einfach nicht hierher. Irgendwann handelst du dir Ärger mit den Behörden ein, das ist mal sicher.« Er legte ihm die Hand auf die Schulter. »Du bist zu weich, mein Sohn. Komm mit mir nach Hause, dann suchen wir nach der richtigen Praxis für dich. Deine Mutter wird sich sehr freuen, dich wieder zu Hause zu haben.«
Allyn war froh, als sein Vater endlich gegangen war. Es störte ihn, dass er von Einmischung gesprochen hatte, und mitunter beschlichen ihn Zweifel. Ob der alte Mann vielleicht doch Recht gehabt hatte? Aber bald vergaß er das Thema, arbeitete im hektischen Wechsel in Praxis und Gefängnis und genoss es, im eigenen Buggy zu kutschieren, den ihm sein Vater zum Geschenk gemacht hatte. Dabei fiel ihm ein, wie er Sean Shanahan kennen gelernt hatte, einen Sträfling, der eine gewisse Macht auszuüben schien.
Nachdem er mit dem Wagenbauer Bertie Cross tagelang über den Preis eines leichten Einspänners mit Verdeck verhandelt hatte, beschloss Allyn, ihn zu kaufen, vorausgesetzt, Lack, Polster und Federung wurden erneuert. Leider hatte Bertie es bei weitem nicht so eilig mit der Lieferung wie Allyn, sodass der Arzt ihn mehrfach daran erinnern musste, wie dringend er den Einspänner benötigte. Die Wochen gingen ins Land, eisiger Wind vertrieb den milden Herbst. Allyn flehte, drohte, verlangte seinen Wagen, der einfach nicht fertig zu werden schien.
Als er eines Abends in seine Wohnung zurückkehrte, nachdem er ein weiteres Mal versucht hatte, Bertie
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