Insel der Nyx: Insel der Nyx, Die Prophezeiung der Götter
würde niemals hier weggehen, obwohl wir woanders viel besser leben könnten. Er ist eigentlich Lehrer für Griechisch und Geschichte. Aber hier sind die Jobangebote so selten, dass er nie eine Stelle als Lehrer in der Nähe gefunden hat. Stattdessen arbeitet er in einer Fischfabrik, damit wir wenigstens ein bisschen Geld zum Leben haben.« Philine pflückte ein Treibholzstöckchen von dem Felsen und drehte es zwischen ihren Fingern. »Aber das Schlimmste ist, dass wir sie vermissen. Dabei weiß ich nicht einmal, ob ich meine Mutter wirklich vermisse, oder ob ich nur traurig bin, weil ich nie eine hatte.«
Eleni betrachtete Philines Gesicht von der Seite. Das Wasser perlte von ihrer Sonnencreme ab und die obersten Strähnen ihrer Haare waren bereits getrocknet. Im gleißenden Sonnenlicht schimmerten sie nicht nur bläulich – einzelne Haare schienen tatsächlich dunkelblau zu sein.
Philine blickte auf das Stöckchen zwischen ihren Fingern. Es war ein rund geschliffenes Holzstück, das wohl schon seit einiger Zeit im Wasser umhertrieb.
»Lange hab ich mir gewünscht, dass Babas eine andere Frau findet, die er liebt und die sich gern um mich kümmert. Aber Babas hat sich nie in eine andere Frau verliebt – und inzwischen glaube ich, dass mich fremde Frauen unheimlich fänden, wenn sie bei uns leben würden.« Philine drehte das Stöckchen ein letztes Mal und warf es dann mit Schwung ins Wasser zurück.
Eleni sah ihm nach, wie es weit hinten in die Wellen klatschte. Philine war ihr also auch darin ähnlich. Ihre beiden Geschichten passten so gut zueinander wie zwei Puzzleteile. »Ich kenne meinen Vater auch nicht«, flüsterte Eleni. »Bislang wollte Mama uns nicht einmal verraten, woher er kommt. Aber heute Morgen hat sie mir gesagt, dass sie ihm hier begegnet ist, dort oben, wo sie den Tempel vermutet. In einer Gewitternacht.«
Philines Augen weiteten sich. Für einen Moment konnte Eleni fast sehen, wie ihre Gedanken rasten. Sie klang atemlos, als sie schließlich sprach: »Dein Vater und meine Mutter ... Sie kommen beide von hier, und beide sind in einer merkwürdigen Nacht erschienen. Genau wie die Insel.«
Eleni warf ihren Kopf herum und starrte auf die bläuliche Gebirgskette am Horizont. Das alles konnte kein Zu...
Ihre Gedanken rissen ab. Auch Philine gab einen unterdrückten Laut von sich und zeigte mit dem Finger auf eine Horde von silbrig glänzenden Tieren, die durch die Wellen sprangen. »Da! Delfine!«
Eleni starrte auf die schimmernden Kreaturen. Sie hatte dieses Bild schon einmal gesehen, an dem Tag, an dem sie um die Klippen herumgeschwommen war.
Eleni versuchte, die Delfine im Blick zu behalten, aber die Sonne reflektierte auf dem Meer und die Tiere verschwanden schließlich in dem gleißenden Licht.
Nach einer Weile gaben sie die Suche auf und legten sich nebeneinander auf den warmen Felsen.
Eleni schloss die Augen. Plötzlich fühlte sie wieder das sonderbare Kribbeln in ihrem Hals. Es wollte sich zu den unheimlichen Lauten formen, die sie schon beim letzten Mal von sich gegeben hatte. Sie versuchte, das Bedürfnis zurückzuhalten – aber schließlich flatterten die Klicklaute aus ihrem Mund, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Ganz von allein variierte ihre Zunge die Melodien, bis sie klangen wie eine komplexe Sprache.
Eleni sah hastig zu ihrer Freundin. Aber Philine lächelte sie an. Sie saß aufrecht und sah so aus, als würde sie Eleni schon lange beobachten. »Wie machst du das?«
Eleni öffnete den Mund, um zu antworten ...
Doch plötzlich sprang vor ihnen etwas aus dem Meer! Ein Schwall Salzwasser regnete über sie hinweg.
Philine schrie auf, Eleni fuhr hoch und riss ihre Freundin mit sich.
Erneut schnellte etwas aus dem Wasser: Ein grauer, glänzender Delfin sprang über eine der Felsenterrassen und tauchteauf der anderen Seite zurück ins Meer. Er stieß ein schnelles Knacksen aus, das eindringlich in Elenis Ohren pochte.
Ein helles Lachen mischte sich in das Geräusch. Es war Philines Lachen. »Der klingt ja so wie du.«
Eleni erstarrte. Philine hatte recht. Es waren die gleichen Laute, die sie soeben hervorgebracht hatte. Und nicht nur das, sie konnte die Antwort des Tieres sogar verstehen: Der Delfin war gekommen, weil sie nach den Tieren gerufen hatte.
Eleni blickte wie paralysiert auf seinen silbrigen Körper. Der Delfin sprang noch ein paar Mal durch die Luft, schlug Saltos über den Felsen und zeigte ihnen sein Können, bevor er sich beruhigte und im Wasser
Weitere Kostenlose Bücher