Insel der Nyx: Insel der Nyx, Die Prophezeiung der Götter
für ein Jahr aus der Schule genommen hätte.« Mit den letzten Worten wurde Arjanas Stimme leiser, als wäre etwas vor ihrem Mund.
Eleni trat einen Schritt näher ans Fenster, um sie besser zu verstehen.
»Wann hat es denn eigentlich bei dir begonnen? Wie alt warst du damals?« Markos flüsterte beinahe.
Wieder dauerte es einen quälenden Moment, ehe Arjana antwortete: »Einen leichten Stromschlag konnte ich auch als kleines Kind schon mit meinen Händen verteilen. Gerade genug, um die anderen Kinder abzuschrecken, wenn sie sich mit mir anlegen wollten. Aber so richtig schlimm wurde es, als ich dreizehn Jahre alt war. Damals habe ich mich immer mehr mit meiner Mutter gestritten und in irgendeinem Streit habeich vor Wut einen Metalllöffel durch die Küche geschmissen. Er hat Funken gesprüht, als ich ihn weggeschleudert habe, und als er am Herd aufprallte, flogen alle Sicherungen raus. In dem Moment hat Greta erkannt, wie gefährlich ich bin. Sie hat mich zu einer alten Frau gebracht, die alle nur ›die Hexe‹ nannten. Aber sie hat mir gezeigt, wie ich meine Impulse kontrollieren und sie sinnvoll einsetzen konnte. Auf diese Weise habe ich gelernt, mit meinen Händen Feuer zu machen oder eine Glühbirne zum Leuchten zu bringen.« Ein leichtes Schmunzeln lag in ihren letzten Worten.
Auch Markos lachte leise auf. »Das sind ja sehr sinnvolle Fähigkeiten für jemanden, der in der Zivilisation lebt.«
Arjana lachte mit ihm. »Ja, vor allem, wenn man sie streng geheim halten muss. Du glaubst nicht, wie froh ich bin, dass ich diesen Fluch wieder losgeworden bin. Es ließ sich nie so ganz unterdrücken. Meine Kontrolle bestand allein darin, in allen Situationen ruhig zu bleiben. Aber manchmal kann man einfach nicht ruhig bleiben, und als Leándra geboren wurde, hatte ich diesen immensen Drang, sie zu beschützen. Gleichzeitig war das Leben mit einem kleinen Kind viel anstrengender als vorher. Paul und ich haben uns immer häufiger gestritten. Eigentlich war es gar nichts Schlimmes, wir haben uns jedes Mal schnell wieder versöhnt. Aber immer, wenn ein Streit ausgebrochen ist, hatte ich furchtbare Angst, ihn versehentlich zu töten.«
Sie sprach von Leándras Vater! Elenis Herzschlag raste. Endlich erfuhr sie etwas über die »windigen« Männer in der Familie.
»Hat er von deinen Fähigkeiten gewusst?«, hakte Markos leise nach.
Arjana atmete schwer ein, ein tiefes, merkwürdiges Seufzen, das von der Laube bis zu ihnen heraufdrang. »Ich habe es ihm lange verheimlicht. Wir haben uns auf einer Ausgrabung kennengelernt. Neben meinen Feuerhänden hatte ich früher einen ganz feinen Radar in meinem Körper, mit dem ich jedes noch so winzige mythologische Relikt im Boden erspüren konnte. Ich habe Paul zwar von meinen Ahnungen erzählt, aber ich glaube, das hat er nie ganz ernst genommen. Er liebte die griechische Mythologie. Aber für ihn war es eine Wissenschaft. Er hielt sämtliche Götter für eine Erfindung der Menschen.«
»Und dabei hat er nicht bemerkt, dass er eine Halbgöttin an seiner Seite hatte?« Markos klang ungläubig. »Hat er nicht gespürt, wie besonders du bist?«
Arjana lachte, aber es hörte sich nicht gerade glücklich an. »Doch. Aber er hielt das für die besondere Spannung zwischen uns.« Sie machte eine kurze Pause, ehe sie im Flüsterton hinzusetzte: »Wahrscheinlich war das der Grund, warum ich ihn so geliebt habe. Weil er mich als normalen Menschen gesehen hat.«
Eleni trat langsam vom rechten Bein auf ihr linkes. Inzwischen musste sie wirklich dringend pinkeln – aber sie konnte jetzt unmöglich aufs Klo gehen. Durch das Plätschern würden sie sich sofort verraten!
Auch Philine stand noch immer in derselben starren Haltung und blickte Eleni an, während sie lauschte. Solange dieses Gespräch dort unten dauerte, durften sie kein Wort davon verpassen.
»Also hast du es ihm nie erzählt?« Markos wurde noch leiser.
Für einen Moment klang es, als würden sie sich küssen, ehe Arjana antwortete: »Irgendwann schon. Eine unserer kleinen Streitereien wurde größer als die anderen – und plötzlich hatte ich eine Archäologenkelle in der Hand und wollte sie nach ihm werfen. Im letzten Moment habe ich gespürt, wie ich sie mit Strom auflade – und konnte mich gerade noch beherrschen. Danach habe ich plötzlich gezittert und konnte den Strom in meinem ganzen Körper fühlen. Genau in dem Moment kam Paul auf die Idee einzulenken und wollte mich in den Arm nehmen. Ich habe ihn schroff
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