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Insel der Rebellen

Insel der Rebellen

Titel: Insel der Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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ägyptische Mumie.
    In unserer Gesellschaft wird der Leib eines einbalsamierten Toten nicht mehr mit Palmwein, Myrrhe, Sennesblättern oder anderen duftenden Essenzen ausgewaschen, seine Gliedmaßen nicht mehr mit Bitumen gefüllt, der Leichnam nicht mehr 70 Tage mit trockenem Natron bedeckt, um ihn anschließend in Flachsstreifen einzuwickeln und diese mit Kautschuk zu bestreichen, der im alten Ägypten häufig als Klebstoff verwendet wurde. Ein konservierter Leichnam wird heute nicht mehr in eine Holzkiste von Menschenform gebettet und diese nicht mehr in einer kalten, trockenen Grabkammer aufrecht an die Wand gelehnt.
    Ich will damit nicht sagen, dass Sie einen geliebten Menschen, der das Zeitliche gesegnet hat, nicht auch noch heute auf diese althergebrachte Weise für die Ewigkeit herrichten könnten, vorausgesetzt natürlich, Sie finde n einen hinreichend bewanderten Gelehrten, der Ihnen zeigt, wo die Schnitte für die Einbalsamierung gesetzt werden müssen, und einen Arzt, auch Zerschneider genannt, der Ihnen mit einem scharfen äthiopischen Stein zu Hilfe käme, bevor er dann fliehen müsste, denn die Ägypter betrachteten es als Verbrechen, einem Toten körperlichen Schaden zuzufügen, auch wenn der Zerschneider für ebendiese Aufgabe angeworben wurde, jedenfalls behauptet das der griechische Geschichtsschreiber Diodorus.
    Vor kurzem führte mich meine Beschäftigung mit Mumien nach Argentinien, wo Wissenschaftler zurzeit damit beschäftigt sind, zahlreiche Tests an ihnen vorzunehmen, unter anderem Kernspintomographien, Computertomographien und Nadelbiopsien für DNAAnalysen. Ich fragte bei National Geographie an, ob man mir erlaube, die Mumien zu besichtigen. Das wurde mir unter der Bedingung gestattet, dass ich bis zur Veröffentlichung der Titelgeschichte in National Geographic nichts über meine Beobachtungen verlaute n ließe.
    An einem kalten, klaren Morgen traf ich in Salta ein, einer Stadt im Nordwesten Argentiniens, die sich zu einem archäologischen Forschungszentrum für die Geschichte der Inkas und anderer präkolumbianischer Indianerkulturen entwickelt hat. Dort traf ich die Archäologen, die auf einer Expedition zum Gipfel eines Andenvulkans an der argentinisch-chilenischen Grenze drei weitgehend erhaltene, fünfhundert Jahre alte Mumien von Inka-Kindern gefunden hatten. Sie waren bei religiösen Riten geopfert und mit Gold, Silber und Töpfen voller Nahrung bestattet worden. In einem Jeep brachten mich die Archäologen auf einer staubigen Straße zur Katholischen Universität, wo man ein kleines Gebäud e kurzzeitig in ein Labor umgewandelt hatte und von Posten mit Maschinenpistolen bewachen ließ. Wie Piraten sind Grabräuber auch heute noch eine stetige Bedrohung unserer Gesellschaft - selbst in so entlegenen Gebieten.
    Während ich beobachtete, wie die Archäologen das erste kleine Bündel aus dem Gefrierschrank nahmen und auf den mit Papier bezogenen Untersuchungstisch legten, wurde mir klar, dass es kaum einen Unterschied bedeutet, ob man die gefrorenen Überreste von drei Inka-Kindern, zwei Mädchen und einem Jungen, auswickelt, die vor einem halben Jahrtausend getötet wurden, oder, wie ich, die Schauplätze von Autounfällen oder Gewaltverbrechen untersucht. Der größte Unterschied besteht darin, dass man in der Archäologie Artefakte und Todesursachen nicht untersucht, um juristische Schuldfragen zu klären, sondern um eine rätselhafte und nur verschwommen erkennbare Vergangenheit zu deuten - in diesem Fall die Vergangenheit eines Volkes, das zwar keine Schriftsprache besaß, aber seine Geschichte doch in hoch entwickelten Webarbeiten und Kunstwerken offenbarte. Ich gestehe, dass ich nicht sonderlich an Krankheiten, Essgewohnheiten, Bekleidung oder Sitten interessiert war, sondern nur wissen wollte, ob die Inka-Kinder, als man sie bei lebendigem Leib vergrub, infolge der Höhe und ritueller Getränke wie Chicha (Maisbier) das Bewusstsein verloren hatten.
    Ich fragte mich, was die beiden Mädchen und der Junge wohl gedacht haben mochten, als man sie in kunstvoll gewebte Gewänder steckte, ihnen den Federkopfschmuck aufsetzte und sie mit Schmuck behängte, um sie anschließend in einer Prozession auf den 6600 Meter hohen Gipfel des Berges Llullaillaco hinaufzuführen. Ich hoffe, sie wussten nicht, was mit ihnen geschah, als man sie in Stoff wickelte, hockend in tiefe Gräber setzte un d diese schließlich mit Steinen und Erde füllte, in der Hoffnung, die Götter dadurch gnädig zu

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