Insel der Rebellen
einfach niedergeschlagen, weil er die ganze Nacht nicht geschlafen hatte und dem, was ihn erwartete, mit einer Mischung aus Angst und Aufregung entgegenfieberte.
Ein ganzes Jahr hatte Andy Brazil auf diesen Tag gewartet. Nach vielen Stunden harter Arbeit sollte nun endlich der erste einer Reihe von Internetartikeln ins Netz gestellt werden. In einigen Stunden würde der Beitrag auf seiner Homepage Trooper Truth zu lesen sein. Das Projekt war so ehrgeizig wie ungewöhnlich, aber er war sehr überzeugend gewesen, als er es seiner Chefin zum ersten Mal in ihrem eindrucksvollen Büro im Hauptquartier der Virginia State Police beschrieben hatte.
»Bitte, lassen Sie mich ausreden, bevor Sie Nein sagen«, hatte Andy gesagt, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte.
»Und schwören Sie mir, mit keinem Menschen darüber zu reden.«
Superintendent Judy Hammer hatte sich von ihrem Schreibtisch erhoben und schwieg eine Weile. Wie sie so, die Hände in den Taschen, vor den Flaggen Virginias und der Vereinigten Staaten stand, sah sie wie die personifizierte Staatsmacht aus. Sie war 55 Jahre alt, ein e imposante Frau mit scharfen Augen, denen man zutraute, kugelsichere Westen zu durchbohren und Menschenmengen in Schach zu halten. Das elegante Kostüm konnte ihre Figur nicht verhüllen, und Andy musste sich zusammennehmen, um sie nicht unverhohlen anzustarren.
»Also«, sagte Hammer und ging wie üblich in ihrem Büro auf und ab, während sie das Für und Wider von Andys Vorhaben erwog. »Spontan würde ich sagen - auf keinen Fall. Ich glaube, es wäre ein Riesenfehler, ihre Arbeit so früh zu unterbrechen. Bedenken Sie, Andy, Sie waren nur ein Jahr bei der Polizei in Charlotte, ein weiteres Jahr hier in Richmond, und jetzt sind Sie kaum sechs Monate Trooper bei der State Police.«
»Und in all der Zeit habe ich Hunderte von Polizeiberichten für Lokalzeitungen verfasst«, erinnerte er sie. »Das ist doch bisher meine größte Leistung, oder? Sollte ich nicht in erster Linie über unsere Arbeit berichten, damit die Bevölkerung erfährt, was die Polizei tut? Öffentlichkeitsarbeit war Ihnen doch immer wichtig, und die will ich jetzt einfach in größerem Maßstab und für ein größeres Publikum fortsetzen.«
Andy hatte eine ungewöhnliche Vita hinter sich. Nach dem Collegeabschluss hatte er eine Laufbahn als Journalist eingeschlagen und war dadurch mit der Polizeiarbeit in Berührung gekommen. Er war in Streifenwagen mitgefahren und hatte Artikel über Verbrechen und ihre Opfer für die lokale Presse verfasst. Das war noch in Charlotte, North Carolina, gewesen. Hammer, die zu dieser Zeit dort Polizeichefin war, hatte ihn schließlich in den regulären Polizeidienst übernommen, ließ ihn aber weiterhin Polizeiberichte und Leitartikel schreiben. Diesen unüblichen Weg hatte ihm Hammer eröffnet, weil sie selbst eine ungewöhnlich e Aufgabe übernommen hatte. Mit Fördermitteln des National Institute of Justice, einer Forschungsbehörde des Justizministeriums, wurde sie als Troubleshooter eingesetzt, das heißt, sie übernahm die Leitung der Polizeidienststellen, die in Schwierigkeiten steckten, und brachte sie wieder auf Vordermann. Seit dieser Zeit war sie Andys Mentorin und hatte ihn stets gefördert, doch als er nun in ihrem Büro saß und ihr zusah, wie sie ungeduldig im Zimmer auf und ab ging, beschlich ihn das ungute Gefühl, sein Plan könnte ihr undankbar erscheinen.
»Ich bin Ihnen dankbar für alles, was Sie für mich getan haben«, hatte er zu ihr gesagt. »Und ich habe auch nicht vor, Sie im Stich zu lassen und zu verschwinden.«
»Ich habe keine Angst, dass sie verschwinden könnten.« Es hatte sich angehört, als würde sie ihn nicht einmal vermissen, wenn er sich monatelang nicht blicken ließe.
»Es würde sich bestimmt lohnen, Superintendent«, versprach er.
»Ich sollte endlich mal über was anderes schreiben. Wen interessiert schon, wer was geklaut hat oder wie viele Autofahrer geblitzt wurden oder wie die letzte Statistik aussieht. Ich will kriminelles Verhalten vor dem Hintergrund der menschlichen Natur und der historischen Bedingungen betrachten. Das ist heute wichtiger denn je. Würden Sie mir helfen, das Geld aufzutreiben, das ich für die Recherchen, das Schreiben und die Flugstunden brauche?«
»Wer hat denn was von Flugstunden gesagt?«
»Die Hubschrauberstaffel hat Fluglehrer, und ich denke, ich könnte Ihnen viel mehr nützen, wenn ich den Pilotenschein hätte.«
Am Ende willigte
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