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Insel der Schatten

Insel der Schatten

Titel: Insel der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Webb
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war.
    In den Monaten nach ihrem Tod hatte Amelia also alle Hände voll zu tun. Aber als Madlyn mit Ihrem Vater verheiratet und Charles versorgt war, wandte sie sich zu dem allgegenwärtigen Licht hinter ihr um und sah dort eine winzige Gestalt stehen. Sadie. Sie rannte auf sie zu und schlang zum ersten Mal die Arme um ihr Kind, und dann schwebten die beiden gemeinsam in das Licht empor.«
    Iris’ Gesicht war weicher und sanfter, als ich es je gesehen hatte – was vielleicht nicht zuletzt daran lag, dass ich schon seit ein paar Minuten leise schluchzte.
    »Was für eine ergreifende Geschichte, Iris«, schniefte ich, ehe ich mir die Nase schnäuzte. »Aber eines verstehe ich nicht. Madlyn und Noah waren doch so glücklich. Was kann denn in nur fünf Jahren derart schiefgegangen sein, dass mein Vater meinte, mich ihr heimlich wegnehmen zu müssen?!«
    Iris’ Züge verhärteten sich auf die altbekannte Weise. Sie griff nach meiner Hand und schüttelte den Kopf. »Das, meine Liebe, ist eine Geschichte für einen anderen Tag. Ihre Geschichte. Die Geschichte von Halcyon Crane.«
    »Können Sie mir die nicht jetzt erzählen?« Ich fieberte dieser Geschichte förmlich entgegen.
    »Sie erwarten doch Gäste! Sie sollten Vorbereitungen treffen, und ich muss jetzt aufbrechen.«
    Ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, Iris aufhalten zu wollen, wenn sie zum Gehen entschlossen war, also versuchte ich es erst gar nicht. Schließlich stand gleich eine Séance an.

29
    Ich bereitete Pasta mit karamellisierten Zwiebeln, getrockneten Tomaten und Gorgonzolasauce zu – ein Rezept, das ich dem Koch meines Lieblingsrestaurants in Seattle abgeschaut hatte. Will brachte frisches Brot und ein paar Flaschen Wein mit (die wir mit Sicherheit brauchen würden), und tigerte dann rastlos in der Küche auf und ab, während ich kochte. Pünktlich um sieben klopfte Mira an die Tür.
    Sie sah aus wie immer: Jeans, gestreifte Bluse und ein um die Schultern geschlungener Pullover. Ihre Brille hing an einer Kette um ihren Hals, das Haar hatte sie sich zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie wirkte so durchschnittlich, dass mir meine Verwunderung scheinbar vom Gesicht abzulesen war, was sie zum Lachen reizte.
    »Hast du etwa gedacht, ich kreuze in einem langen Samtumhang auf?«
    »Treten Sie doch näher, Madame Mira!«, grinste ich.
    Unsere Unterhaltung beim Essen drehte sich meist um Belanglosigkeiten wie das Wetter und den neusten Inselklatsch. Ich wagte nicht, das Thema anzuschneiden, das mir die ganze Zeit auf der Zunge brannte, was Will mir wohl ansah, denn er warf mir immer wieder aufmunternde Blicke zu, die deutlich besagten: »Nun los!« Nach ein paar unbeholfenen Vorstößen brachte ich schließlich zögernd mein Anliegen vor.
    »Mira, ich habe vor kurzem erfahren, dass du an dem Tag, an dem mein Vater und ich verschwanden, unseren Kajak gefunden hast.«
    Will nickte mir über den Tisch hinweg zu. Mira drehte ein paar Nudeln um ihre Gabel, während sie ganz offensichtlich angestrengt überlegte, wie sie sich herausreden konnte.
    »Ja, das war vielleicht ein Tag«, sagte sie endlich. »Fast die ganze Insel hat nach euch beiden gesucht. Ich ahnte, wo Noah sein könnte, nein, ich wusste es, und ich behielt recht. Trotzdem blieb mir beim Anblick des Kajaks fast das Herz stehen. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als mich geirrt zu haben.« Mira sah mich mit einer Mischung aus Bedauern und Ärger an. »Dein Vater hat mit seiner kleinen Vorstellung die gesamte Insel in helle Aufregung versetzt.«
    Sie wollte mir einen Köder hinwerfen, versuchte abzulenken und stattdessen auf die Verfehlungen meines Vaters zu sprechen zu kommen, aber ich spielte ihr Spiel nicht mit.
    »Warum hast du mir das nie erzählt? Gelegenheiten dazu gab es doch genug.«
    Verlegen gestand sie: »Das kann ich mir selbst nicht recht erklären. Als du auf die Insel kamst und ich herausfand, wer du bist, hat es mir einen regelrechten Schock versetzt. Wem wäre das nicht so gegangen? Du galtest dreißig Jahre lang als tot, Hallie! Und nach ein paar Tagen erschien es mir dann nicht mehr so wichtig, dass ich ein Mitglied des Suchtrupps gewesen war. Fast jeder Bewohner von Grand Manitou war schließlich an der Suche beteiligt, nicht nur ich.«
    Das ergab einen etwas verdrehten Sinn. Ich nickte verwirrt und schickte mich an, das Thema zu wechseln, aber Mira beugte sich vor und fuhr in einen fast verschwörerischen Ton fort: »Hallie, ich hatte all die Jahre lang und besonders

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