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Insel der Schatten

Insel der Schatten

Titel: Insel der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Webb
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letzte Nacht die Treppe hinuntergefallen ist, hat das für mich das Fass zum Überlaufen gebracht.«
    Mira schlug erschrocken die Hände vor den Mund und warf Will einen fragenden Blick zu. Er folgte der stummen Aufforderung und beschrieb ihr in allen Einzelheiten, was geschehen war: dass er gemeint hatte, jemand würde seinen Namen rufen, und dann Hände auf seinem Rücken gespürt hatte, die ihm einen Stoß versetzten.
    »Deswegen haben wir dich hergebeten«, schloss ich. »Denn langsam wird uns die ganze Sache mulmig. Wenn hier wirklich ein Geist – ein bösartiger Geist – herumspukt, dann will ich ihn loswerden. Ich möchte in meinem eigenen Haus in Frieden leben können.«
    Damit war alles gesagt. Mira nickte noch einmal bedächtig, dann nahm sie ein violettes Samttuch aus ihrer Umhängetasche, breitete es auf dem Tisch aus und platzierte fünf Votivkerzen darauf.
    »Hast du irgendeine Ahnung, wer dieser Geist sein könnte?«, fragte sie, während sie die Kerzen nacheinander anzündete.
    Ich wechselte einen verstohlenen Blick mit Will. »Ich halte es für möglich, dass es sich um eines oder mehrere der drei Mädchen handelt, die damals in dem Sturm von 1913 hier umgekommen sind.«
    Miras Augen wurden schmal. »Davon weiß ich nichts. Was war das für ein Sturm?«
    Und so berichtete ich ihr, wie Penelope, Patience und Persephone fast ein Jahrhundert zuvor von einem furchtbaren Novemberunwetter überrascht worden und einander in den Armen haltend am Fuß der Klippe gestorben waren.
    »Du glaubst also nicht, dass es Julie Suttons Geist sein könnte?«, fragte Mira.
    Wieder sahen Will und ich uns an. Diese Möglichkeit hatte ich noch gar nicht in Betracht gezogen.
    »Nein, ich bin aus einem ganz bestimmten Grund davon überzeugt, dass eines oder alle drei Mädchen hier umgehen, und zwar wegen der Geschichte meiner Familie, auf die ich ja eben schon zu sprechen gekommen bin. Meine Vorfahren hatten alle das Gefühl gehabt, die Mädchen wären noch in ihrer Nähe. Ihre Mutter, meine Urgroßmutter Hannah, wurde von der Vorstellung gequält, ihren Töchtern könne der Weg in den Himmel verwehrt geblieben sein. Sie hat selbst einmal versucht, mit ihnen in Verbindung zu treten, und sie glaubte bis zu ihrem Todestag daran, dass sie sie nie ganz verlassen hätten. Und dann all diese Stürze …«
    Mira nickte. »Ich wollte ja nur ganz sichergehen. Wenn du zu wissen glaubst, wer die Geister sind, erleichtert mir das meine Aufgabe. Es ist immer besser, wenn man die Personen kennt, die man auf der anderen Seite kontaktieren will.«
    Dann erklärte sie, wie die Séance ablaufen würde. Sie würde einige Zeit meditieren, und dann würden wir uns an den Händen halten, während sie die Mädchen rufen und in unseren Kreis einladen würde.
    Mira holte tief Atem und schloss die Augen. Auf Los geht’s los, dachte ich sarkastisch, doch da schlug sie die Augen schon wieder auf. Offenbar war ihr noch etwas eingefallen.
    »Hast du vielleicht irgendetwas zur Hand, was den Mädchen mal gehört hat? Das wäre eine große Hilfe.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Sie sind seit fast hundert Jahren tot, Mira. Vielleicht findet sich irgendwo im Haus noch ein Karton mit Sachen von ihnen, aber ich habe keine Ahnung, wo ich danach suchen sollte.«
    Als Mira sich erneut konzentrierte, tief durchatmete, unsere Hände nahm und sie leicht drückte, war ich plötzlich sehr froh darüber, keines der Haarbänder irgendwo gefunden zu haben.
    »Penelope, Patience, Persephone«, intonierte Mira mit einer Stimme, die nicht ganz die ihre zu sein schien. »Penelope, Patience, Persephone! Mädchen, wir rufen euch! Wir möchten, dass ihr euch zu uns gesellt. Kommt zu uns, hier an den Tisch. Penelope, Patience, Persephone! Penelope, Patience, Persephone!«
    Die Worte klangen seltsam gepresst, so als ob sich eine fremde Person ihrer Stimme bediente. Und dann begann ich eine elektrische Spannung im Raum zu spüren, die meinen Nacken und meine Arme kribbeln ließ.
    »Penelope, Patience, Persephone!«
    In einer fernen Ecke des Hauses schien etwas grollend zum Leben zu erwachen. Ein hundertjähriger Wind wehte aus dem Zimmer im zweiten Stock, wo er geruht hatte, zu uns in den Raum, umtoste uns und umschlang uns dann wie eine Python, die uns die Luft abzuschnüren drohte.
    Alle Kerzen, die auf dem Tisch und die in dem Lüster über uns, erloschen mit einem Schlag. Völlige Dunkelheit umgab uns. Und dann hörte ich es.
    Komm, liebe Freundin, spiel mit mir.
    Ich

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