Insel der schwarzen Perlen
aber war zunächst etwas anderes geplant. Niemand würde in den ersten Stunden singen oder tanzen. Das Dorf hatte drei Tage lang nur die einfachsten vegetarischen Speisen gegessen, denn es hatte auf der Plantage erneut einen Todesfall gegeben. Wieder war ein Familienvater aus dem Dorf bei der Arbeit verunglückt, wieder waren die Stimmen der Ãltesten im Dorf voller Empörung.
Bei der heutigen Versammlung würde Kelii daher als neues Oberhaupt des Dorfes offiziell in sein Amt gewählt werden, um als Vertreter des Dorfes mit Elisas Onkel zu sprechen, denn der erneute Todesfall riss eine kaum verheilte Wunde auf.
Im Winter, als Elisa noch mit ihrer Familie auf Maui lebte, war auch Keliis Vater unter mysteriösen Umständen bei der Arbeit auf der Plantage verunglückt. Niemand wusste etwas Genaueres, der Verwalter Piet van Ween behauptete sogar, keiner der Arbeiter hätte etwas gesehen oder gehört.
Vor einer Woche hatten Kelii und Elisa bei ihrem Besuch in Lihue jedoch endlich mehr erfahren. Man hatte den Schwerverletzten mitten in der Nacht ins Hospital gebracht, wie eine hawaiische Krankenschwester sagte, sobald der weiÃe Arzt das Zimmer verlassen hatte. Dort sei er gestorben, ohne noch einmal das Bewusstsein erlangt zu haben. Sein Körper sei verunstaltet gewesen. Sie sprach von Peitschenhieben und Prellungen, wie Schläge sie verursachen würden.
Seitdem gab es zunächst Vermutungen, dann böse Gerüchte im Dorf. Inzwischen sprachen einige der Ãltesten von mutwilliger Tötung, vielleicht sogar einem kaltblütigen Mord. Keliis Vater war für die WeiÃen schon immer unbequem gewesen, da er sich für die Rechte der Arbeiter eingesetzt hatte.
»Was genau wollen die weiÃen Männer?«
Elisa hörte Angst in der Stimme ihres Sohnes, aber sie hatte im Moment keine Antwort. Wegen Keliis Vater wollten sie Anzeige erstatten, doch noch wussten sie nicht wo. Seit Gouverneur Janson die Insel regierte, hatte die Polizei ihren Ruf komplett eingebüÃt. Sie war durch und durch korrupt. Kelii nahm zwar an, sein Vater war bei der Arbeit wirklich von einem schweren Pferdefuhrwerk überrollt worden, denn so sagte es ihnen der Arzt in Lihue, doch wahrscheinlich war das nur die halbe Wahrheit. Angeblich gab es keine Zeugen auf der Plantage, denn die Arbeiter hatten alle Angst. Hinter vorgehaltener Hand jedoch flüsterte man von einer Strafaktion auf der Plantage gegen den aufsässigen kanaka, der gegenüber dem Plantagenbesitzer seit vielen Jahren die Rechte seiner Dörfler vertrat.
Seit Keliis und Elisas Ankunft hatte es noch einen dritten tragischen Vorfall gegeben, der das Dorf derzeit erschütterte. Amalas geliebte Nichte Okelani war spurlos verschwunden. Auch dieses Unglück wurde mit der Plantage von Elisas Onkel in Zusammenhang gebracht.
An dem Tag, an dem die Familienhütte von Elisa und Kelii fertig wurde, luden sie alle Dorfbewohner zum traditionellen Einweihungsfest ein. Der Name Okelani bedeutete die vom Himmel Kommende, und genauso himmlisch klang in Elisas Ohren ihre Singstimme. Selten hatte sie unter den Hawaiianern eine so reine Sopranstimme gehört.
Die junge Frau sang zum Abschluss des Festes ein verbotenes Lied von Königin Liliâuokalani mit dem Titel Ka Waiâ Apu Lani, übersetzt Segen aus dem Himmel. Der Text handelte von tiefer Sehnsucht, die Hawaiianer wünschten sich ihre letzte Königin zurück auf den Thron.
Wunderschön hatte es Okelani gesungen, das halbe Dorf hatte vor Rührung geschluchzt, und Elisa war aufgefallen, wie die Blicke der bezaubernden Schönheit beim Singen immerzu auf Kelii ruhten. Es waren die verliebten Blicke eines jungen Mädchens, und sie hatte Kelii in ihrer ersten Nacht sogar ein wenig damit aufgezogen.
Am Tag darauf verschwand das Mädchen spurlos nach der Arbeit. Amala vermutete zunächst, ihre Nichte wäre vielleicht unvorsichtig genug gewesen, auf der Plantage von dem Lied zu erzählen, oder aber sie hatte es vielleicht leichtsinnigerweise dort in der Küche oder im Waschhaus gesungen. Das hätte eine Strafe nach sich gezogen, denn das Lied galt als revolutionär und war verboten.
Wieder wusste niemand auf der Plantage etwas, nur dass sie sich nach der Arbeit wie immer auf den Heimweg gemacht hätte, allerdings alleine. Normalerweise gingen die jungen Frauen zu zweit oder in gröÃeren Gruppen den Weg zum Dorf zurück.
Amala tröstete
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