Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
sich niemand auch nur an einem seiner kostbaren Sandkörner vergreift.«
Sie rappelte sich von ihrem Hocker hoch und breitete theatralisch die Arme aus. »Und auch Jo hat, was sie will. Sie ist eine bekannte Fotografin mit fetten Aufträgen und reist in der Weltgeschichte herum, um ihre Bilder zu machen. Und was hab’ ich? Einen tollen Lebenslauf mit ein paar Werbespots, ein paar Statistenrollen und einer Hauptrolle in einem Stück in Pittsburg, das gleich nach der Premiere abgesetzt wurde. Und jetzt sitze ich wieder hier, decke Tische und mache fremden Leuten das Bett. Ich hasse es.«
Er wartete einen Moment, dann applaudierte er. »Gut gebrüllt, Lex. Und deine Worte kannst du auch gut plazieren. Deine Gestik läßt allerdings zu wünschen übrig.«
Ihre Lippen zitterten, aber dann strafften sie sich. »Verdammter Kerl!« Erhobenen Hauptes stolzierte sie aus dem Raum.
Brian griff nach ihrer Gabel. Scheint so, als wäre das heute mein zweiter Sieg, dachte er und beschloß, sich auch über ihr Frühstück herzumachen.
Eine Stunde später verkörperte Lexy lächelnd wieder den totalen Südstaaten-Charme. Sie war eine ausgesprochen begabte Kellnerin, was sie in New York vor dem Verhungern bewahrt hatte, und bediente die Gäste voller Freundlichkeit und Anmut.
Sie trug jetzt einen engen Rock, kurz genug, um Brian zu ärgern, was durchaus beabsichtigt war, und einen ärmellosen Pulli, der ihren Körper ihrer Meinung nach am vorteilhaftesten
zur Geltung brachte. Sie hatte eine tolle Figur und arbeitete hart, damit sie auch so blieb. Ganz egal, ob Kellnerin oder Schauspielerin, das war ihr Kapital. So wie ihr strahlendes Lächeln.
»Soll ich Ihren Kaffee nicht lieber noch mal aufwärmen lassen, Mr. Benson? Wie schmeckt Ihnen das Omelett? Brian ist ein ausgezeichneter Koch, finden Sie nicht auch?«
Da Mr. Benson ihre Brüste zu schätzen schien, beugte sie sich noch etwas weiter vor, damit er für sein Trinkgeld auch was geboten bekam, bevor sie sich dem nächsten Tisch zuwandte.
»Sie reisen heute ab, nicht wahr?« Sie warf den frisch Verheirateten ein entzückendes Lächeln zu. »Ich hoffe, daß Sie uns bald wieder besuchen.«
Sie segelte durch den Raum und sah sofort, ob ein Gast Lust auf einen kurzen Plausch hatte oder lieber in Ruhe gelassen werden wollte. Wie gewöhnlich war unter der Woche nicht viel los, und sie hatte genug Zeit, um den Speiseraum zu ihrer Bühne zu machen.
Aber eigentlich träumte sie davon, vor vollen Häusern zu spielen, auf den großen New Yorker Bühnen. Aber statt dessen, dachte sie, das sommer-sonnige Lächeln fest im Gesicht, spiele ich die Rolle der Kellnerin in einem Haus, das sich niemals verändert, auf einer Insel, die sich niemals verändert.
Seit hundert Jahren hat sich nichts verändert, dachte sie. Lexy machte sich nicht viel aus Geschichte. Für sie war die Vergangenheit langweilig und so unabänderlich in Stein gehauen wie Desire und seine Handvoll Bewohner.
Die Pendletons heirateten die Fitzsimmons oder die Brodies oder die Verdons. Das waren die vier großen Familien der Insel. Manchmal tanzte ein Sohn oder eine Tochter aus der Reihe und heiratete jemanden vom Festland. Manchmal zog sogar jemand weg, aber die allermeisten blieben und lebten Generation für Generation im selben Cottage – höchst selten gesellte sich mal ein neuer Name zu den alteingesessenen.
Es ist alles so … vorhersehbar, dachte sie, als sie ihren Bestellblock umblätterte und den nächsten Tisch anstrahlte.
Ihre Mutter hatte einen Mann vom Festland geheiratet, und nun herrschten die Hathaways über Sanctuary. Es waren die Hathaways, die hier gelebt und gearbeitet hatten, die nun schon seit mehr als dreißig Jahren Schweiß und Herzblut investierten, um das Haus zu halten und die Insel zu bewahren.
Aber Sanctuary war noch immer das Haus der Pendletons, oben auf dem Hügel, und so würde es immer bleiben.
Es schien kein Entrinnen zu geben.
Sie stopfte die Trinkgelder in ihre Tasche und räumte das schmutzige Geschirr ab. In dem Moment, in dem sie die Küche betrat, wurde ihr Blick frostig. Es machte sie wütend, daß Brian die kalte Schulter nicht zu bemerken schien, die sie ihm vor die Nase hielt.
Laut klirrend stellte sie das Geschirr ab, schnappte sich die Kanne mit dem frischen Kaffee und segelte zurück in den Speiseraum.
Zwei Stunden lang servierte sie, deckte sie ab und auf – und träumte von dem Ort, an dem sie sein wollte.
Broadway. Sie war sich so sicher gewesen, daß
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