Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
nehmen sich die Seeleute besser in acht. Aber Kirby selbst genoß den wunderschönen Morgen mit dem lodernden Sonnenaufgang und dem frischen Wind.
Vielleicht schlug Carla doch noch zu. Das konnte spannend werden und Brian eine Zeitlang von seinen Sorgen ablenken.
Wenn sie nur die richtigen Worte für ihn finden könnte. Aber in der Nacht zuvor, als er in ihr Haus gestürmt kam, hatte sie ihm nur zuhören können, wie sie Jo zugehört hatte. Doch als sie ihn trösten wollte, so behutsam wie sie Jo getröstet hatte, hatte er ihre Worte zurückgewiesen. Also hatte sie ihm statt dessen die Leidenschaft gegeben, die er wollte und die seinen Kummer wenigstens für den Augenblick betäubte.
Sie hatte ihn nicht überreden können, bis zum Morgen zu bleiben. Vor Sonnenaufgang war er aufgestanden und verschwunden. Aber er hatte sie an sich gezogen und umarmt. Und sie wußte, daß er gestärkt und getröstet nach Sanctuary zurückgekehrt war.
Jetzt wollte sie einen klaren Kopf bekommen. Wenn der Mann, den sie liebte, Sorgen hatte, dann waren es auch ihre Sorgen. Und sie war fest entschlossen, alles zu tun, um ihm zu helfen.
Dann sah sie Nathan; er stand am Strand, dort wo die gewaltigen Brecher ausrollten. Loyalität kämpfte mit Vernunft, als sie langsamer wurde. Doch am Ende siegte ihr Wille zu helfen, Wunden zu heilen. Sie konnte niemanden leiden sehen.
»Was für ein Morgen.« Sie mußte ihre Stimme heben, um die herandonnernden Wellen und den stürmischen Wind zu übertönen. Leicht schnaufend kam sie neben ihm zum Stehen. »Na, entspricht der Urlaub Ihren Erwartungen?«
Er mußte lachen. »O ja. Das ist der Urlaub meines Lebens.«
»Sie brauchen einen Kaffee. Er ist zwar alles andere als gesund, aber manchmal wirkt er Wunder.«
»Ist das eine Einladung?«
»Richtig.«
»Vielen Dank, Kirby, aber wir wissen beide, daß ich Persona non grata bin. Brian würde es nicht gefallen, wenn Sie einen Kaffee mit mir trinken. Und ich kann’s ihm nicht mal verübeln.«
»Ich entscheide für mich selbst und mache mir gern mein eigenes Bild. Deshalb ist er verrückt nach mir.« Sie legte die Hand auf seinen Arm. Nein, sie konnte niemanden leiden sehen. Selbst die Luft um Nathan herum war von Schmerz erfüllt. »Kommen Sie mit. Betrachten Sie mich einfach als die Inselärztin und schütten Sie mir Ihr Herz aus.« Sie lächelte ihn an. »Wenn Sie wollen, stelle ich Ihnen auch eine Beratung in Rechnung.«
»Das hört sich gut an.« Er atmete tief durch. »Ein Kaffee würde mir tatsächlich gut tun. Und ein offenes Ohr.«
»Und ich habe beides. Kommen Sie.« Sie hakte sich bei ihm ein und führte ihn vom Strand weg. »Die Hathaways haben’s Ihnen also nicht leicht gemacht.«
»Ach, ich weiß nicht, sie waren noch recht gnädig. Die Gastfreundschaft der Südstaaten, Sie wissen schon. Ich sage Ihnen, mein Vater hat eure Mutter vergewaltigt und ermordet. Zum Teufel, keiner hat auch nur versucht, mich zu lynchen.«
»Nathan.« Sie blieb vor ihrer Veranda stehen. »Was sich ereignet hat, ist eine schreckliche Tragödie. Aber niemand wird Sie mehr dafür verantwortlich machen, wenn er erst mal Zeit hatte, darüber nachzudenken.«
»Jo tut’s nicht. Und sie ist die Verletzlichste von allen.«
»Sie liebt Sie.«
»Lexy tut’s auch nicht«, murmelte er. »Sie hat mir in die Augen gesehen und gesagt, daß ich nichts dafür kann.«
»Lexy ist es gewohnt, Masken und Vorwände zu benutzen. Vielleicht erkennt sie deshalb schneller als die meisten den Kern einer Sache.« Kirby öffnete die Tür. »Nichts von dem, was geschehen ist oder gerade geschieht, ist Ihre Schuld.«
»Vom Verstand her ist mir das klar, und ich bin kurz davor, mich gefühlsmäßig davon zu überzeugen – ich will es, weil
ich Jo will. Aber es ist noch nicht vorbei, Kirby. Mindestens noch eine Frau ist ermordet worden, also ist es noch nicht vorbei.«
Sie nickte und hielt die Tür für ihn auf. »Ja, auch darüber werden wir sprechen.«
Carla suchte die Südostküste Floridas heim, gab Key Biscayne einen schnellen, wilden Kuß und zog dann in Richtung Norden ab. Auf ihre kapriziöse Weise tanzte sie einen Tango mit Fort Lauderdale, warf Wohnmobile durch die Luft und ließ einige Tote zurück. Aber sie schien nicht bleiben zu wollen.
Ihr Auge war kalt und weit, ihr Atem schnell und gierig. Seit ihrer Geburt über dem warmen Wasser der Karibik war sie stärker geworden.
Wie eine rachsüchtige Hure fegte sie zurück aufs Meer und stieß auf ihrem Weg
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