Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
gefolgt bist, um den Jungen zu verteidigen, kannst du gleich wieder reingehen.«
»Nein, deshalb bin ich nicht hier. Aber Tatsache ist, daß sich Nathan in seinem Vater ebenso getäuscht hat wie du in Belle. Nun habt ihr beide erfahren, daß ihr euch in jemandem geirrt habt, doch er ist derjenige, der damit zurechtkommen muß, daß sein Vater sich als egoistisch und herzlos entpuppt hat.«
»Geh wieder ins Haus.«
»In Ordnung, du dickköpfiger, trotziger Esel. Bleib ruhig allein hier draußen stehen und zerfließe vor Selbstmitleid.« Entschlossen wandte sich Kate zum Gehen – und fuhr zusammen, als Sam nach ihrer Hand griff.
»Geh nicht.« Die Worte brannten wie Tränen in seiner Kehle. »Bitte nicht.«
»Wann bin ich jemals gegangen?« seufzte sie. »Sam, ich weiß nicht, wie ich dir, wie ich den Kindern helfen soll. Es bricht mir das Herz, wenn ich euch leiden sehe und nicht weiß, was ich dagegen tun soll.«
»Ich kann nicht mehr so um sie trauern, wie ich es sollte, Kate. Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit, und ich bin nicht mehr derselbe wie damals, als ich sie verlor.«
»Du hast sie geliebt.«
»Ich habe sie immer geliebt, sogar als ich sie verfluchte. Du weißt doch, wie sie war, Kate. Eine herrliche Frau.«
»Ja, ich habe sie immer darum beneidet, wie sie durch ihre bloße Anwesenheit jeden um sie herum zum Strahlen brachte.«
»Aber auch ein sanftes Licht hat seinen Reiz.« Er betrachtete ihre ineinander verschlungenen Hände. »Du warst immer für uns da«, fuhr er vorsichtig fort. »Sie wäre sehr dankbar für alles gewesen, was du für mich und die Kinder getan hast. Ich hätte dir früher sagen sollen, wie dankbar ich bin.«
»Zuerst habe ich es ihr zuliebe getan, und dann mir zuliebe. Sam, ich glaube nicht, daß Belle gewollt hätte, daß du von neuem um sie trauerst. Sie hat niemals einen Groll gehegt. Und sie hätte einen zehnjährigen Jungen nicht für die Tat seines Vaters verantwortlich gemacht.«
»Ich bin so hin- und hergerissen, Kate. Ich kann mich noch daran erinnern, daß sich David Delaney damals an der Suche nach Belle beteiligt hat.« Er schloß die Augen, um die aufsteigende Wut zu unterdrücken. »Der Hurensohn hat zusammen mit mir die ganze Insel durchkämmt. Seine Frau hat sich an diesem Tag um unsere Kinder gekümmert. Und ich war ihm dankbar dafür. Gott vergib mir. Ich war diesem Mann dankbar.«
»Er hat dich getäuscht«, sagte sie ruhig. »Er hat seine eigene Familie getäuscht.«
»Und jetzt, wo ich weiß, was er getan hat, kann ich ihn nicht mehr dafür bezahlen lassen.«
»Möchtest du seinen Sohn dafür büßen lassen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Sam, was ist, wenn er recht hat? Was ist, wenn jemand Jo dasselbe antun will wie damals Annabelle? Wir müssen alles tun, um sie zu schützen, um das zu verhindern. Und wenn ich etwas weiß, dann daß Nathan Delaney sich einem fahrenden Zug in den Weg stellen würde, um sie zu schützen.«
»Diesmal weiß ich selbst, was zu tun ist. Diesmal bin ich vorbereitet.«
Der Waldrand bot in der mondfinsteren Nacht ausgezeichneten Schutz. Und doch hatte er der Versuchung nicht widerstehen können, ein wenig näher heranzukriechen. Noch immer schluckte die Dunkelheit seine Bewegungen.
Es war ein aufregendes, prickelndes Gefühl, dem Haus so nah zu sein, die Worte des alten Mannes so deutlich zu hören. Jetzt wußten sie Bescheid, und dieser Gedanke erregte ihn noch mehr. Sie dachten, sie wüßten alles. Sie dachten, sie verstünden. Und mit diesem Wissen wiegten sie sich in Sicherheit.
Aber sie täuschten sich.
Er strich über den Revolver, der im Schaft seines Stiefels steckte. Wenn er wollte, konnte er ihn auf der Stelle ziehen und die beiden abknallen. Dann waren die beiden Frauen allein im Haus, denn Brian war kurz zuvor wutentbrannt und in halsbrecherischem Tempo weggefahren.
Er konnte nicht nur eine, sondern beide Töchter von Annabelle haben – nacheinander oder gleichzeitig. Eine nette ménage à trois.
Aber es paßte nicht in seinen Plan. Und der Plan hatte bisher so gut funktioniert. Er würde Disziplin beweisen und schrittweise vorgehen. Wenn er die Erfahrung mit Annabelle kopieren wollte, mußte er sich noch eine Weile gedulden.
Er verschwand wieder zwischen den Bäumen und ergötzte sich noch eine Stunde am Anblick von Jos erleuchtetem Fenster.
Neunundzwanzig
Allein joggte Kirby den Strand entlang. Im Osten färbte die aufgehende Sonne den Himmel blutrot. Wenn die alte Regel stimmt, dachte sie,
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