Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Kopf. »Mit solchen Sachen hab’ ich ihn wahnsinnig gemacht.«
Er gestikulierte mit der Waffe. »Der Jeep steht da drüben auf der Straße. Was von der Straße übrig ist. So weit müssen wir schon noch laufen.«
»Du hast ihn gehaßt.«
»Kann man wohl sagen.« Er stupste sie an, damit sie sich in Bewegung setzte. »Mein Vater hat ihn immer vorgezogen. Aber dann hat sich herausgestellt, daß unser Vater gar nicht der Mann war, für den ihn alle gehalten haben. Mann, war das ’ne Überraschung. David Delaneys kleines Geheimnis. Er war gut, aber ich bin besser. Und du bist mein Meisterstück, Jo Ellen, so wie Annabelle seins war. Und Nathan wird dafür gradestehen. Ein netter Gedanke. Wenn er überlebt, wandert er in den Knast.«
Sie stolperte, richtete sich wieder auf. »Er lebt?«
»Schon möglich. Natürlich wird er allen von meiner Auferstehung berichten, aber früher oder später werden sie seine Hütte durchsuchen und die Fotos finden, die ich dort versteckt habe. Zu schade, daß ich nicht mehr genug Zeit habe, auch noch dein Bild dazuzulegen.«
Vielleicht lebt er wirklich noch , schoß es ihr durch den Kopf. Jetzt würde sie erst recht darum kämpfen, auch am Leben zu bleiben. Entschlossen strich sie ihr triefendes Haar aus dem Gesicht und drehte sich zu ihm um. Nein, sie hatte sich nicht getäuscht – der Sturm flaute wirklich langsam ab. Jetzt konnte sie den Kampf wieder aufnehmen.
»Das Dumme ist nur, Kyle, daß dein Vater ein erstklassiger Fotograf war. Sein Stil war vielleicht ein bißchen konservativ und manchmal etwas gewöhnlich. Du dagegen bist bestenfalls drittklassig. Die Arrangements sind armselig, und du hast keine Disziplin. Und von Ausleuchtung hast du praktisch keine Ahnung.«
Als er ausholte, war sie vorbereitet. Sie tauchte unter seiner zuschlagenden Hand hindurch und rammte ihm den Kopf in den Magen. Der Stoß riß ihm die Beine unter dem Körper weg, er ging zu Boden. Sie packte sein Handgelenk, streckte die andere Hand nach der Waffe aus, aber er bekam ihr Bein zu fassen und zog sie ebenfalls zu Boden.
»Du Miststück. Glaubst du, ich lasse mich von dir beschimpfen? Glaubst du, ich lasse mir alles von dir verderben?«
Er packte nach ihrem Haar, aber seine Hand griff ins Leere. Blitzschnell drehte sie sich um die eigene Achse und hielt ihn mit einem gezielten Fußtritt auf Abstand.
Sie sah, wie er den Revolver hob.
»Kyle.«
Kyles Aufmerksamkeit und seine Waffe richteten sich beide nach rechts. »Nathan.« Sein Grinsen wurde breiter, und aus der Lippe, die ihm Jo Ellen aufgerissen hatte, tropfte Blut auf sein Kinn. »Das ist ja interessant. Du wirst das Ding nie benutzen.« Er deutete mit dem Kinn auf die Waffe, die Nathan auf ihn richtete. »Du hast nicht genug Mumm zum Töten.«
»Wirf den Revolver weg, Kyle. Das Spiel ist aus.«
»Noch ein Irrtum. Unser Vater hat es begonnen, und ich werde es zu Ende führen.« Langsam erhob er sich. »Ich werde es beenden, Nathan, und zwar so, wie er es sich nicht mal hätte träumen lassen. Mein entscheidender Augenblick, mein Triumph. Er hat nur gesät, und ich werde die Früchte ernten.«
Immer noch grinsend, machte er einen vorsichtigen Schritt nach vorn. »Ich werde die Früchte ernten, Nathan. Sie gehören mir. Stell dir vor, wie stolz er gewesen wäre. Ich bin nicht nur in seine Fußstapfen getreten, ich übertreffe ihn sogar noch.«
»Ja.« Obwohl sein Körper kalt war, brannte eine heiße Übelkeit in Nathans Magen. »Du hast ihn übertroffen, Kyle.«
»Höchste Zeit, daß du es zugibst.« Kyle neigte den Kopf. »Ist das jetzt eine Pattsituation? Legst du mich um, oder lege ich dich um?« Er lachte kurz auf. »Und weil du ein Feigling bist, weiß ich schon, was passiert. Aber wie wär’s, wenn ich die Spielregeln ein bißchen verändere und sie zuerst erschieße?«
Als er den Revolver auf Jo richtete, drückte Nathan ab. Kyle taumelte zurück, sein Mund klappte auf, und er preßte die Hand auf die Brust, wo Blut ausströmte. »Du hast mich umgebracht. Du hast mich wegen einer Frau umgebracht.«
Als Kyle zusammensackte und sich auf dem Boden krümmte, ließ Nathan die Waffe sinken. »Du warst schon tot«, murmelte er. Dann ging er auf Jo zu, die sich mühsam aufraffte. Er nahm sie in die Arme. »Er war schon tot.«
»Jetzt ist alles vorbei.« Sie drückte ihr Gesicht an seine Schulter. »Jetzt ist alles vorbei.«
Giff kam die aufgeweichte Straße entlanggerannt. Als er den zusammengekrümmten Mann auf dem Boden liegen
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