Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Brian zu. »Also, spuck aus, was du zu sagen hast.«
»Das würde Jahre dauern und nichts ändern.«
Sam ging hinter die Bar. Er brauchte jetzt seinen Whiskey. »Dann mach wenigstens einen Anfang.« Er goß drei Fingerbreit Jim Beam in ein niedriges Glas, und nach kurzem Zögern füllte er ein zweites Glas und schob es Brian über den blanken Tresen zu.
»Ich trinke keinen Bourbon. Was meiner Männlichkeit wahrscheinlich weiteren Abbruch tut.«
Sam spürte einen dumpfen Schmerz in seiner Kehle und hob sein Glas. »Jeder erwachsene Mann kann selbst entscheiden, was er trinkt. Und du bist ja wohl mittlerweile erwachsen. Warum sollte es dich interessieren, was ich über dich denke?«
»Ich habe dreißig Jahre gebraucht, um das zu begreifen«, gab Brian zurück. »Und wo, zum Teufel, warst du während der letzten zwanzig Jahre?« Diese Frage hatte ihn offenbar schon
lange beschäftigt. »Du bist gegangen – genau wie sie. Bei dir war’s nur noch schlimmer, denn du hast uns an jedem einzelnen verdammten Tag zu verstehen gegeben, daß du dich einen Dreck um uns scherst. Wir waren unglücklicherweise da, aber immerhin konntest du uns bei Kate abladen.«
Kampfeslustig trat Kate Brian entgegen. »Jetzt hör mir mal gut zu, Brian William Hathaway …«
»Laß ihn«, befahl Sam. »Sprich weiter«, sagte er zu Brian. »Du hast sicher mehr zu sagen.«
»Welchen Unterschied macht das schon? Gehst du dann zurück und bist da, als ich mit zwölf von zwei Touristenjungs verdroschen worden bin, weil sie Lust dazu hatten? Oder als ich fünfzehn war und mir von meinem ersten Bier todschlecht geworden ist? Als ich siebzehn war und eine Scheißangst hatte, ich hätte Molly Brodie geschwängert, als wir zusammen unsere Unschuld verloren haben?«
Er ballte wütend die Fäuste – er hatte nicht damit gerechnet, in seinem Innern einen derart lodernden Zorn vorzufinden. »Du warst nie für mich da – Kate war da. Sie hat meine Schrammen verarztet und mich getröstet, wenn ich es gebraucht habe. Sie hat mir Autofahren beigebracht, Vorträge gehalten und mich gelobt. Du nicht. Nicht ein einziges Mal. Keiner von uns braucht dich jetzt noch. Und wenn du Mama mit derselben Mißachtung behandelt hast, dann ist es kein Wunder, daß sie gegangen ist.«
Bei diesen Worten zuckte Sam zusammen – das erste Zeichen von Gefühl während der bitteren Tirade. Mit zitternder Hand griff er nach seinem Glas, aber noch bevor er antworten konnte, fiel ihm Lexy von der Tür aus ins Wort.
»Was redet ihr da? Was soll das ausgerechnet jetzt? Ginny ist etwas zugestoßen!« Mit tränenerstickter Stimme kam sie in den Raum gestürzt. »Irgendwas Schreckliches ist mit ihr passiert. Ich weiß es. Und was tut ihr? Ihr steht da und beschimpft euch. Warum könnt ihr die alten Geschichten nicht auf sich beruhen lassen und so tun, als spielten sie keine Rolle?«
»Weil sie eine Rolle spielen!« Wütend, daß sie nicht mal jetzt seine Partei ergriff, stürzte sich Brian auf Lexy. »Weil wir genau deshalb eine so zerrissene Familie sind, weil du genau
deshalb nach New York abhaust und versuchst, die Leere in deinem Leben mit Männern auszufüllen. Weil genau das Jo krank gemacht hat. Und weil ich genau deshalb nicht mit einer Frau zusammensein kann, ohne mir vorzustellen, daß ich sie eines Tages abschiebe, wie er es mit Mama getan hat. Es spielt eine Rolle, weil es keinem von uns gelingt, glücklich zu sein.«
»O doch, ich bin glücklich!« Lexys Stimme überschlug sich, während sie ihn anschrie. Sie wollte ihren Widerspruch hinausbrüllen, wollte ihm das Gegenteil beweisen. »Ich werde glücklich sein. Ich werde alles bekommen, was ich will.«
»Was, zum Teufel, ist hier los?« Jo legte eine Hand an den Türrahmen und starrte sie an. Die lauten Stimmen hatten sie aus ihrem Zimmer getrieben.
»Brian ist ekelhaft, einfach ekelhaft.« Mit einem wilden Aufschluchzen drehte sich Lexy um und stürzte in Jos Arme.
Fassungslos blickte Jo auf die Szenerie: Lexy schluchzend in ihren Armen, ihr Bruder und ihr Vater, die sich über die Bar hinweg wie zwei Boxer vor dem Kampf anstarrten, und inmitten des ganzen Durcheinanders Kate, leise vor sich hinweinend.
»Was ist passiert?« preßte Jo hervor, während ihr Kopf zu hämmern begann. »Geht es um Ginny?«
»Denen ist Ginny egal!« Lexy wurde erneut von Schluchzen geschüttelt. »Denen ist sie doch ganz egal!«
»Nein, es geht nicht um Ginny.« Erfüllt von Wut und Schmerz, löste sich Brian von der Bar.
Weitere Kostenlose Bücher