Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
»Es ist nur ein typischer Hathaway-Abend. Und ich hatte einfach nur die Nase voll davon.«
Mit wenigen großen Schritten war er aus dem Raum. Neben Lexy blieb er einen Augenblick stehen, hob die Hand, als wollte er ihr übers Haar streichen, aber ließ sie wieder sinken, ohne sie berührt zu haben.
Jo atmete tief durch. »Kate?«
Mit einer brüsken Bewegung wischte sich Kate die Tränen aus dem Gesicht. »Schatz, bringst du Lexy bitte in ihr Zimmer? Ich komme gleich nach.«
»Klar.« Jo warf einen kurzen Blick auf ihren Vater – auf sein versteinertes Gesicht, seine undurchdringlichen Augen, und entschied, daß es besser war, keine Fragen zu stellen. »Komm, Lexy«, murmelte sie. »Komm, ich bringe dich hoch.«
Nachdem sie verschwunden waren, kramte Kate ein Taschentuch aus ihrer Jeans und schneuzte sich. »Ich will Brians Verhalten nicht entschuldigen«, begann sie, »aber er ist müde und erschöpft. Das sind wir alle, aber er hat mit der Polizei gesprochen und sich außerdem noch um den Pensionsbetrieb gekümmert. Er ist einfach am Ende seiner Kräfte, Sam.«
»Aber er hat recht.« Sam nahm einen großen Schluck und hoffte, der scharfe Alkohol werde das Schuldgefühl wegspülen, das in seiner Kehle brannte. »Ich bin ihnen kein Vater mehr gewesen, nachdem Belle uns verlassen hat. Ich habe alles dir überlassen.«
»Sam …«
»Willst du behaupten, es sei anders gewesen?«
Leise seufzend ließ sie sich auf einen der Barhocker fallen. Sie war müde. »Nein, so war es wohl.«
Sam stieß ein mühsames Lachen aus. »Man kann über dich sagen, was man will, aber ehrlich bist du immer gewesen. Bewundernswert und erstaunlich zugleich.«
»Ich wußte gar nicht, daß dir so etwas auffällt. Ich predige schon seit Jahren eine etwas freundlichere Version dessen, was Brian eben gesagt hat.« Sie neigte den Kopf, und obwohl ihre Augen noch gerötet waren, hielten sie seinem Blick stand. »Schien aber keinen Eindruck auf dich zu machen.«
»Ein bißchen schon.« Er stellte sein Glas ab und rieb sich sein Gesicht. Vielleicht war er nur müde und traurig und erinnerte sich zu genau an seine Versäumnisse, aber plötzlich kamen ihm die Worte, die er auszusprechen nie für möglich gehalten hatte, über die Lippen. »Ich wollte nicht, daß sie mich brauchen. Ich wollte nicht, daß mich irgend jemand braucht. Und noch viel weniger wollte ich sie brauchen.«
Das mußte reichen. Es war mehr, als er jemals gesagt hatte. Aber sie schaute ihn so geduldig und mitfühlend an, daß er weitersprach.
»Belle hat mein Herz gebrochen. Und als ich irgendwann
darüber hinweg war, Kate, warst du da, und alles schien seinen Gang zu gehen.«
»Wenn ich nicht geblieben wäre …«
»Hätten sie niemanden gehabt. Du hast deine Sache gut gemacht, Kate. Das hab’ ich eben erst kapiert, als der Junge es mir ins Gesicht geschleudert hat. Es hat ihn viel Mut gekostet, das zu tun.«
Kate schloß die Augen. »Ich werde euch Männer nie verstehen, und wenn ich noch ein halbes Jahrhundert lebe. Bist du jetzt stolz, daß er dich angeschrien und beschimpft hat?«
»Ich respektiere ihn dafür. Mir ist klar geworden, daß ich ihm bisher nicht den Respekt entgegengebracht habe, den ein erwachsener Mann verdient.«
»Hallelujah«, murmelte Kate, griff nach Brians unberührtem Glas, leerte es in einem Zug und schüttelte sich.
Sams Mund verzog sich zu einem Lächeln. Sie sah hübsch aus, wie sie ihre geballte Faust ans Herz drückte und mit rotem Gesicht und aufgerissenen Augen nach Luft japste. »Du warst noch nie für Whiskey zu haben.«
Kate rang nach Atem und stieß ihn sofort wieder aus, weil die Luft in ihrer Kehle höllisch brannte. »Heute ist eine Ausnahme. Ich bin fix und fertig.«
Er nahm ihr das Glas aus der Hand. »Paß auf, sonst wird dir noch schlecht davon.« Statt dessen holte er eine angebrochene Flasche ihres Lieblings-Chardonnays aus dem Kühlschrank.
Als er ihr ein Glas davon eingoß, starrte sie ihn an. »Ich hatte keine Ahnung, daß du weißt, was ich gerne trinke.«
»Ich kann doch nicht zwanzig Jahre lang mit einer Frau zusammenleben, ohne nicht wenigstens ein paar ihrer Vorlieben zu bemerken.« Beim Klang seiner Worte fühlte er seinen Nacken rot werden. »Unter einem Dach leben, meine ich.«
»Natürlich. Was hast du jetzt mit Brian vor?«
»Was ich mit ihm vorhabe?«
»Sam.« Ungeduldig nahm sie einen Schluck Wein, um den Geschmack des Bourbons aus ihrem Mund zu vertreiben. »Du wirst diese Chance doch nicht
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