Insel der Verlorenen Roman
reckte trotzig das Kinn. »Ich bin eine freie Frau, kein Sträfling. Und weißt du, wer meine Nachfolgerin werden soll?«
»Nein, wer denn?«
»Mary Rolt. Mary Rolt! Die gebraucht doch andauernd Schimpfwörter! Die bekommt die Stelle nur, weil sie mit dem Seesoldaten Sam King schläft, und der lässt sich hier jetzt als Siedler nieder. King, derselbe Name, verstehst du. Das macht ihn dem Kommandanten schon mal angenehmer. Ha!« Lizzie nahm einen Schluck Tee und starrte den Hut an. »Wenn ich doch nur einen Spiegel hätte.«
»Mrs King hat bestimmt einen.«
»Natürlich, einen ganz großen sogar, im Schlafzimmer.«
»Dann frag sie doch, ob du ihn benutzen darfst. Wenn sie höflich ist und auch noch freundlich, erlaubt sie es sicher.«
»Das ist doch wirklich ein schöner Hut, nicht wahr?«
»Der schönste, den ich je gesehen habe. Mr Thistlethwaite schreibt in seinem Brief, dass zur Zeit vor allem Herzoginnen und vornehme Damen solche Hüte tragen.« Sie machte eine Pause. »Vielleicht beschäftigen dich die Kings ja als Köchin weiter?
Richard erzählte mir, Major Ross habe deine Kochkunst gelobt. Er habe noch nie so gut gegessen.«
»Danke, nein«, sagte Lizzie hochmütig. »Ich habe schon andere Pläne.«
»Was denn für welche?«, fragte Kitty.
»Ich habe nichts mehr gegen dich, weil du mir Richard weggenommen hast.« Lizzie stand auf, füllte die Kanne nach, hackte etwas Zucker klein und goss Tee ein.
»Ich habe ihn dir wirklich nicht weggenommen.«
»Das weiß ich! Eher hat er dich genommen. Schon ein bisschen merkwürdig, oder? Ich meine die Männer. Befriedige ihre körperlichen Bedürfnisse, und schon sind sie glücklich. Richard war immer anders, schon damals, als er ins Gefängnis von Gloucester spazierte wie ein Prinz. Er blieb immer ruhig, wurde nie laut. Er hat es sogar mit Ike Rogers aufgenommen, der noch stärker war als er, und ist mit ihm fertig geworden. Und später waren die beiden dann gute Freunde. So ist Richard. Ich liebe ihn, aber er hat mich nie geliebt. Keine Chance für mich. Keine Chance.« Lizzie konnte nicht weitersprechen. Sie stand auf und schüttete den Rest aus der Arzneiflasche in ihren Tee. »Das verbessert den Geschmack. Willst du auch was?«
»Nein, danke. Was willst du tun, Lizzie?« Lizzie musste schon eine ganze Weile von dem Zeug getrunken haben, das jetzt auch im Tee gelandet war, vielleicht seit ihrer Kündigung durch Mr King.
»Ich denke an Thomas Sculley, einen Seesoldaten. Er ist eben erst auf die Insel zurückgekehrt, um hier Land zu kaufen, ganz in der Nähe von euch. Er ist ein ruhiger Mann, ähnlich wie Richard, aber er will keine Kinder. Er hat keine Frau und hat mir, als er meine Bananenbeignets mit Rum probiert hat, einen Antrag gemacht. Ich habe abgelehnt, aber wenn der Kommandant mich jetzt rauswirft, kann ich genauso gut bei Sculley einziehen.«
»Es wäre schön, dich zur Nachbarin zu haben.« Kitty stand auf.
»Wann kommt das Kind?«
»In etwa zweieinhalb Monaten.«
»Danke für den Hut. Mr Thistlethwaite hat ihn geschickt, sagtest du?«
»Ja, Mr James Thistlethwaite.«
Sehr viel ruhiger als bei ihrer Ankunft machte Kitty sich auf den Rückweg. Unterhalb des Mount George traf sie Joey, der mit den beiden Hunden schon auf sie wartete.
»Du hattest völlig Recht, als du darauf bestanden hast, dass ich ihr den Hut bringe«, sagte sie abends zu Richard. Sie schnitt das hausgemachte gepökelte Schweinefleisch in dünne Scheiben, goss mit dem Löffel Soße darüber, die sie mit reichlich Zwiebeln zubereitet hatte, dann häufte sie Kartoffeln und frische Bohnen auf die Zinnteller. »Lizzie und ich werden Freundinnen sein. Die beiden Mrs Morgans.« Sie kicherte und stellte zwei Teller vor Stephen und Richard. Dann trug sie ihren eigenen Teller zum Esstisch und setzte sich. »Kommandant King hat der armen Lizzie heute Morgen gekündigt.«
»Ich habe es befürchtet«, sagte Stephen. »Lizzie ist King nicht gut genug für seine Frau. Die arme Lizzie.«
»Ich habe dort Tee aus einer Porzellantasse getrunken«, sagte Kitty kauend. Sie aß in dieser Zeit für zwei. »Wenn es sogar in der Küche Porzellangeschirr gibt, dann ist Mrs King wirklich eine sehr vornehme Frau.«
»Ich würde dir liebend gern auch Porzellangeschirr kaufen, Kitty«, sagte Richard. »Aber das ist nicht nur eine Frage des Geldes.«
Stephen sah von seinem Teller auf. »Stimmt«, sagte er. »Ich fürchte, dass wir auf Norfolk Island noch lange keinen richtigen Laden haben
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