Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
Vom Netzwerk:
sie sich vorstellte, war dagegen ein Phantom. Kitty träumte von einem Ritter in schimmernder Rüstung, der sie zu sich
aufs Pferd holte. Würde sie die Liebe je als das erkennen, was sie wirklich war? Richard bezweifelte es. Vielleicht war es aber auch besser so. Zwei abgeklärte Weise in der Familie waren zu viel. Seine Liebe reichte für sie beide.
    Kitty gab ihm eine ehrliche Antwort. Sie lernte. »Ich weiß es wirklich nicht, Richard. Du bist überhaupt nicht wie mein Vater. Ich freue mich immer, wenn ich dich sehe…Dass ich ein Kind von dir bekomme, ist noch viel toller, denn du wirst ein wunderbarer Vater sein.«
    Ihm fiel eine Frage ein, die er ihr noch nie gestellt hatte. »Wünschst du dir ein Mädchen oder einen Jungen?«
    »Einen Jungen«, sagte sie, ohne zu zögern. »Keine Frau wünscht sich ein Mädchen.«
    »Und wenn es doch ein Mädchen wird?«
    »Ich werde sie sehr lieben, aber ohne Hoffnung für ihre Zukunft.«
    »Du meinst, weil die Welt von Männern beherrscht wird?«
    »Ja.«
    »Du wärst aber nicht allzu enttäuscht, wenn es ein Mädchen würde?«
    »Nein! Wir werden ja noch mehr Kinder haben, und einige davon werden Jungen sein.«
    »Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis«, flüsterte er.
    Sie lehnte sich an ihn. »Was für ein Geheimnis?«
    »Es ist besser, wenn das erste Kind ein Mädchen ist. Mädchen werden schneller erwachsen als Jungen. Wenn dann ein Junge kommt, hat er zwei Mütter, eine davon nicht viel älter als er selbst. Die packt ihn am Ohr, zerrt ihn an einen verschwiegenen Ort und verdrischt ihn dort fürchterlich. Seine wirkliche Mutter wird nicht so grausam sein.«
    Kitty kicherte. »Das klingt nach Lebenserfahrung.«
    »So ist es. Ich habe zwei ältere Schwestern.« Richard streckte sich wie eine Katze. »Ich bin froh darüber, dass in Bristol alle gesund sind, auch wenn mir das nachlassende Augenlicht von Vetter James Kummer bereitet. Vetter James und Jem Thistlethwaite, diese beiden haben mich gerettet. Ich war nie krank wie die anderen
Sträflinge, weder im Gefängnis noch auf dem Schiff. Deshalb kann ich mit dreiundvierzig Jahren noch arbeiten wie ein sehr viel jüngerer Mann. Und mit dir schlafen wie ein jüngerer Mann. Ich habe mir meine Kraft und Stärke bewahrt.«
    »Aber du hast bestimmt genauso gehungert wie die anderen.«
    »Schon, aber der Hunger ist nicht schlimm, solange er die Muskeln nicht dauerhaft schädigt. Meine Konstitution war vielleicht von vornherein besser als bei den anderen. Außerdem hielt der Hunger nie allzu lange an. In Rio gab es Orangen und frisches Fleisch. Auch auf dem Baggerboot auf der Themse gab es immer zu essen. Und von Stephen Donovan bekam ich frische Brötchen mit Butter, belegt mit Captain Hunters Kresse. So etwas nennt man Glück, Kitty.« Richard lächelte mit halb geschlossenen Augen. Heute schien der Tag der Erinnerungen zu sein.
    »Nicht Glück«, sagte Kitty. »Es ist mehr eine bestimmte Eigenschaft, die viele Männer nicht besitzen, wohl aber du und Stephen. Und Major Ross, so weit ich ihn aus deinen Erzählungen kenne. Auch Nat und Olivia Lucas gehören zu diesen Menschen. Ich nicht. Deshalb bin ich froh, dass du der Vater meiner Kinder bist. So können sie mehr erben, als ich ihnen bieten kann.«
    Er nahm ihre Hand und küsste sie. »Das ist ein sehr schönes Kompliment. Vielleicht liebst du mich ja doch ein wenig.«
    Kitty schnaubte ärgerlich und drehte sich um. Auf den Tischen und Stühlen lagen lauter Bücher. Auf einem Stuhl lag die Hutschachtel. »Wann bringst du Lizzie den Hut?«
    »Bring du ihn ihr und versöhne dich mit ihr.«
    »Das kann ich nicht.«
    »Ich bringe ihn ihr nicht.«
    Das Hutproblem war immer noch nicht gelöst, als sie zu Bett gingen. Kitty war so müde, dass sie einschlief, bevor es zu Zärtlichkeiten kam.
    Richard döste zwei Stunden lang vor sich hin. Zwischen Träumen und Wachen erschien ihm eine Reihe altbekannter Gesichter, die sich im Lauf der vergangenen Jahre allerdings verändert hatten. Schließlich wachte er ganz auf. Er glitt aus dem Bett, zog seine Hose an und verließ leise das Haus.

    Am Sonntag, nach dem Gottesdienst, würde er seinem Vater schreiben und auch den beiden Vettern James und Jem Thistlethwaite. Er würde ihnen berichten, dass er im fernen Süden eine neue Heimat gefunden hatte. Sie hatten ihm mit ihrem Geld dabei geholfen, und dafür schuldete er ihnen Dank. Doch dass er jetzt hier zu Hause war, verdankte er seiner eigenen Hände Arbeit und seiner Willenskraft.
    Zuvor

Weitere Kostenlose Bücher