Insel des Sturms
ganz sicher Schicksal.
Vielleicht sah sie die Sache anders, aber er würde sie bestimmt zu seiner Sichtweise bekehren!
Es bedeutete nicht, dass sie ihre Arbeit aufgeben müsste, – obgleich er noch darüber nachzudenken hatte, wie sie genau das bekäme, was sie wirklich glücklich macht. Schließlich war sie eine tatkräftige Person und würde ihre verschiedenen Möglichkeiten genau ins Auge fassen wollen.
Sie hegte starke Gefühle für ihn, dachte er, während er mit ihrem Haar spielte. Ebenso wie er für sie. Sie hatte Wurzeln hier in Ardmore, ebenso wie er. Und jeder, mit Augen im Kopf, konnte erkennen, dass sie nun, da sie diese Wurzeln gefunden hatte, in ihrer ganzen Pracht erblühte.
Das Ganze besaß eine Logik, von der sie sicher angetan wäre. Vielleicht machte die Vorstellung ihn etwas nervös,
aber das war ja wohl natürlich – wenn man bedachte, was für Veränderungen er in seinem Leben plötzlich in Erwägung zog. Schließlich ging es um eine Zukunft mit Frau und Kindern, um eine absolut neue Verantwortung.
Wenn also seine Hände etwas schwitzten, war das sicherlich normal. Er würde alles gründlich abwägen, und dann würden sie weitersehen.
Zufrieden glitt er neben sie unter die Decke, zog sie eng an seine Brust und versank in einen wohligen Schlummer.
Während er schlief, träumte Jude von Carrick, der auf seinem weißen Flügelpferd Himmel, Land und Wasser überflog und im Fliegen die Juwelen der Sonne, die Tränen des Mondes und das Herz des Meeres einsammelte.
15
Falls dies ein kühner Schritt war, so hatte sie in letzter Zeit bereits zahllose kühne Schritte unternommen. Aber er konnte nicht wirklich falsch sein. Vielleicht ein bisschen närrisch und nicht gerade praktisch, doch nicht verboten, oder?
Trotzdem sah sich Jude mit leichtem Schuldbewusstsein um, als sie den Tisch in den Vorgarten schleppte. Sie hatte bereits ein Fleckchen ausgesucht, dort drüben gleich neben dem Weg, wo sich die Verbenen und der Storchschnabel an die niedrige Steinmauer schmiegten. Der Tisch wackelte ein wenig auf dem unebenen Boden, aber damit käme sie zurecht.
Sie kehrte ins Haus zurück, holte einen Stuhl und stellte ihn genau hinter den Tisch. Da niemand vorbeikam, um zu fragen, was, zum Teufel, sie da tat, rannte sie zurück und holte ihren Laptop.
Einmal draußen arbeiten, diese Vorstellung erfüllte sie mit
heißer Freude. Sie hatte ihren Schreibtisch absichtlich so aufgestellt, dass sie die Hügel und die wild blühenden Fuchsienhecken sah. Die Helligkeit der Sonne wob sich in samtig warmen Strahlen durch die leichte Wolkendecke und tauchte die Umgebung in ein zartes silbrig-goldenes Licht. Eine weiche Brise bewegte die Blumen und stieg Jude mit ihrem süßen Duft in die Nase.
Sie stellte den Kessel auf den Herd, gab den Tee in eine wunderschöne Kanne und legte kleine Schokoladenplätzchen auf einen bemalten Teller. Das alles war derart perfekt, dass sie das Gefühl hatte, sich selbst etwas vorzumachen.
Also würde sie ganz einfach doppelt hart arbeiten!
Zunächst jedoch blieb sie zufrieden sitzen, nippte vorsichtig an ihrem Tee und blickte verträumt über die Hügel. Ihr kleines Fleckchen Himmel, dachte sie beglückt. Vögel sangen, und sie entdeckte das schimmernde Gefieder zweier Elstern, oder dachte zumindest, dass es sich um Elstern handelte.
Eine Elster brachte Elend, zwei Elstern brachten Glück. Und wenn sie eine dritte sähe … sie konnte sich nie daran erinnern, was drei Elstern dem Sprichwort nach bewirkten, also bliebe sie besser bei zweien.
Sie lachte fröhlich auf. Ja, das war klug von ihr. Schließlich konnte man sicher kaum glücklicher sein als sie im Augenblick. Und was eignete sich besser, das Glück des Menschen zu verlängern, als die Beschäftigung mit wahren Märchen?
Derart inspiriert begab sie sich ans Werk.
Um sie herum trällerten die Vögel, flatterten die Schmetterlinge und summten die Bienen, als sie in die Welt der Hexen und Magier, der Elfen und braven Jungfern eintauchte.
Es überraschte sie zu sehen, wie viel sie bereits geschafft hatte. Mehr als zwei Dutzend Geschichten, Fabeln und Legenden hatte sie in ihren Laptop eingespeist. Die Arbeit war
derart mühelos vonstatten gegangen, dass sie ihr gar nicht wie Arbeit vorgekommen war. Natürlich hatte sie noch längst nicht alle Geschichten wissenschaftlich untersucht; aber leider nahmen sich auch ihre Theorien im Vergleich zu der Musik und der Magie der herrlichen Erzählungen entsetzlich nüchtern
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