Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Insel des Sturms

Insel des Sturms

Titel: Insel des Sturms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberts Nora
Vom Netzwerk:
und trocken aus.
    Vielleicht sollte sie versuchen, etwas von der den Fabeln eigenen Melodik in ihre Arbeit einzubringen? Weshalb sollte ihre Analyse so steif und akademisch klingen? Sicher täte es niemandem weh, wenn sie sie ein wenig aufpeppte, wenn sie persönliche Gedanken und Gefühle, vielleicht sogar ein paar ihrer eigenen Erfahrungen in die Arbeit einbrächte. Wenn sie die Menschen beschriebe, die ihr die Geschichten erzählt hatten – die Art, wie sie sie und die Orte, an denen sie sie vortrugen.
    Den dämmrigen Pub mit der sanften Hintergrundmusik, die niemals aufgeräumte Küche der O’Tooles, die Hügel, auf denen sie mit Aidan spazieren gegangen war. Dadurch würde ihre Arbeit persönlicher, realer … würde Schriftstellerei.
    Jude faltete die Hände. Endlich könnte sie schreiben, wie sie es immer gewollt hatte. Während sie darüber nachdachte, während sie diese Vorgehensweise erwog, meinte sie beinah zu spüren, wie eine Tür in ihrem Inneren sich nach allzu vielen Jahren endlich öffnete.
    Wenn sie versagte, was machte das schon aus? Sie war bestenfalls eine mittelmäßige Lehrerin gewesen. Wenn sie sich nun als mittelmäßige Schriftstellerin erweisen würde, dann stellte sie ihr Mittelmaß zumindest auf einem Gebiet unter Beweis, auf dem sie mit Freuden tätig wäre.
    Eifrig legte sie die Finger auf die Tasten und zog sie ruckartig zurück. Der Selbstzweifel, ihr ältester Begleiter, nahm neben ihr Platz.
    Also bitte, Jude, du hast nicht das geringste Talent zum
Schreiben, flüsterte er ihr zu. Bleib am besten bei den Dingen, die du kannst. Es wird sowieso niemand jemals deine Arbeit publizieren. Deine Arbeitsmoral lässt auch ohne diese Grille bereits sehr zu wünschen übrig. Verwirkliche also bitte wenigstens deinen ursprünglichen Plan und schreib eine seriöse Dokumentation.
    Natürlich würde niemand jemals ihr Machwerk publizieren, sah sie, wenn auch widerwillig, ein. Für einen Essay, einen Artikel oder eine wissenschaftliche Abhandlung war es bereits viel zu lang. Zwei Dutzend Geschichten – wer würde die lesen? Die Logik geböte, dass sie höchsten sechs der Fabeln auswählte, sie wie geplant analysierte und in irgendeinem unbedeutenden Wissenschaftsverlag veröffentlichte.
    Das wäre vernünftig.
    Ein Schmetterling landete auf der Tischkante und flatterte mit seinen kobaltblauen Flügeln. Während eines kurzen Augenblickes schien er sie ebenso neugierig zu mustern wie sie ihn.
    Dann hörte sie plötzlich wieder Musik – Pfeifen und Flöten und das Schluchzen einer Harfe. Sie schien von den Hügeln herunterzufließen, und so hob Jude den Kopf und blickte hinaus auf das sanft schimmernde Grün.
    Weshalb sollte sie sich jedoch an einem solchen Ort von der Vernunft leiten lassen? Weshalb öffnete sie sich nicht stattdessen der hier herrschenden Magie?
    Sie wollte überhaupt keine Dokumentation schreiben. Himmel, sie wollte ein Buch schreiben. Sie hatte keine Lust mehr zu dem, was sie seit langem kannte und was alle Welt von ihr erwartete. Nein, neue Horizonte wollte sie kennen lernen, wollte endlich die selbst gesteckten engen Grenzen überwinden. Unabhängig von möglichen Erfolgen die Freiheit gewinnen, Erfahrungen zu machen.
    Als der Zweifel sie erneut zur Vorsicht mahnte, stieß sie ihn einfach mit dem Ellenbogen von sich.

     
    Leiser Regen fiel vom Himmel und vor den Fenstern wirbelte der Nebel. In dem kleinen Herd in meiner Küche prasselte ein Feuer. Auf der Anrichte standen vom Regen nasse Blumen, Tee dampfte in den Tassen auf dem Tisch, während Aidan mir diese Geschichte erzählte.
    Seine Stimme entspricht seinem Land, voller Musik und Poesie. Er führt den Pub des Dorfes Ardmore, den seine Familie seit Generationen besitzt, mit einer derartigen Liebe, dass man sich in der warmen, freundlichen Atmosphäre unweigerlich zu Hause fühlt. Ich habe ihn oft hinter dem Tresen stehen sehen, wo er sich die Geschichten der Gäste anhörte oder selbst ein Ereignis zum Besten gab, während im Hintergrund leise Musik erklang und die Besucher gemütlich ihr Bier tranken.
    Er besitzt ein Übermaß an Charme und hat ein Gesicht, das die Blicke der Frauen anzieht und die Männer veranlasst, ihm zu trauen. Schnell ist er zum Lächeln bereit trotz eines eher ruhigen Wesens, doch beides zieht einen in seinen Bann. Als er an jenem verregneten Nachmittag in meiner Küche saß, erzählte er mir folgende Geschichte:
     
    Jude hob ihre Hände und presste sie vor ihre Lippen. Ihre Augen

Weitere Kostenlose Bücher