Insel des Sturms
Nägel, während er durch das Zimmer zum Fenster stapfte, zurück zu seinem Schreibtisch und dann wieder ans Fenster.
Als er die Stille nicht mehr aushielt, sagte er in möglichst beiläufigem Ton: »Du bist Jude während der letzten Monate ziemlich nahe gekommen.«
»Ja, das stimmt.« Ihr Lächeln wurde breiter. »Allerdings sicher nicht so nah wie du. Hattet ihr beiden vielleicht Streit? Ist das der Grund, weshalb du hier herumsteigst wie ein gefangener Tiger und die Stirn in derart tiefe Falten legst?«
»Nein, wir hatten keinen Streit. Zumindest nicht richtig.« Er vergrub die Hände in den Taschen seiner Jeans. Oh, es war erniedrigend, doch er hatte leider keine Wahl. »Was spricht sie denn so über mich?«
Darcy verkniff sich ein Kichern, doch innerlich grienend sah sie ihren Bruder an. »Das kann ich dir nicht sagen. Schließlich bin ich keine Klatschbase.«
»Wie wäre es am Samstag mit einer extra Stunde frei?«
Sofort setzte sich Darcy kerzengerade hin und räusperte sich. »Tja, warum hast du das nicht gleich gesagt! Was willst du von mir wissen?«
»Was hält sie von mir?«
»Oh, sie findet dich attraktiv und charmant, und nichts, was ich einwende, bringt sie davon ab. Mit deiner romantischen Masche hast du sie aus den Schuhen gehauen. Sie die Treppe raufzutragen war ein super Schachzug.« Angesichts von Aidans schmerzerfüllter Miene brach sie schließlich doch in Lachen aus. »Frag nicht, worüber Frauen reden, wenn du es dann nicht aushältst.«
Er atmete mühsam ein. »Aber darüber, wie es… weiterging, hat sie ja wohl nichts gesagt?«
»Oh, sie hat mir über jeden Seufzer und jedes gemurmelte
Wort Bericht erstattet.« Unfähig sich zurückzuhalten, sprang sie aus dem Sessel, umfasste sein Gesicht und gab ihm einen Kuss. »Natürlich nicht, du Erbsenhirn! Dafür ist sie viel zu diskret, obwohl Brenna und ich uns alle Mühe gegeben haben, ihr pikante Einzelheiten zu entlocken. Worüber machst du dir solches Kopfzerbrechen? So wie ich es sehe, hält Jude dich für den besten Liebhaber seit Salomon.«
»Ist das etwa alles? Sex und Romantik und eine vorübergehende Begeisterung. Soll das etwa alles sein?«
Ihre Belustigung verflog angesichts seines Leidens. »Verzeih mir! Du bist ja wirklich völlig deprimiert. Was ist denn nur passiert?«
»Ich habe sie gestern Abend gebeten, mich zu heiraten.«
»Das hast du getan?« Begeistert sprang sie auf ihn zu, schlang ihm die Beine um die Hüften und die Arme um den Hals und hätte ihn wie eine glückselige Boa Constrictor beinahe zerquetscht. »Oh, wie wundervoll! Wie ich mich für dich freue!« Lachend küsste sie ihn auf die Wangen. »Lass uns runter in die Küche gehen und es Shawn erzählen, und dann rufen wir Ma und Dad in Boston an.«
»Sie hat Nein gesagt.«
»Sicher wollen sie sofort rüberkommen und sie noch vor der Hochzeit kennen lernen. Und dann werden wir alle… was?«
Als Darcy ihn erschrocken anstarrte, sank ihm das Herz bis in die Kniekehlen.
»Sie hat Nein gesagt.«
Heiße Schuldgefühle wallten in ihr auf. »Das kann ja wohl nicht wahr sein. Sicherlich hat sie das nicht so gemeint.«
»Sie hat sich klar und deutlich ausgedrückt und war dann noch so höflich, ein ›Vielen Dank‹ hinzuzufügen.« Oh, das war eine bittere Pille für ihn gewesen!
»Himmel, was ist nur mit ihr los?« Plötzlich wütend sprang Darcy wieder auf die Füße und stemmte die Hände
in die Hüften. Zorn war, wie sie wusste, besser zu ertragen als Gewissensbisse. »Natürlich will sie dich heiraten.«
»Nein, das will sie nicht! Sie hat gesagt, sie will überhaupt nicht noch mal heiraten. Das ist alles die Schuld von diesem Bastard, der sie verlassen hat. Sie hat mich mit ihm verglichen, und als ich mir das verbitten wollte, hat sie erklärt, ein anderer Vergleich stände ihr nun einmal nicht zur Verfügung. Verdammt, sie soll mich mit niemandem vergleichen. Ich bin ich und niemand anders!«
»Aber sicher bist du du und obendrein zehnmal besser, als dieser widerliche William es anscheinend war.« Es war alles ihre Schuld, dachte sie erneut. Sie hatte das Ganze als einen großen Spaß aufgefasst und das mögliche Elend ganz einfach nicht bedacht. »Es war – dann ist es also nicht so, dass sie ihr Leben in Amerika nicht aufgeben will?«
»So weit sind wir gar nicht erst gediehen. Und weshalb sollte sie ihr Leben in Amerika nicht aufgeben wollen, wenn sie hier glücklicher ist, als sie es dort je war?«
»Nun …« Darcy knetete ihre Hände.
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