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Insel des Sturms

Insel des Sturms

Titel: Insel des Sturms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberts Nora
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Mitleid überwog die Furcht. Und so nahm sie sich seiner an, heilte seine Wunden mit ihrer Magie und endloser Geduld. Von da an war er ihr Begleiter und wanderte Nacht für Nacht mit ihr über die Hügel und Felsen, bis die Dämmerung über dem Meer emporstieg und sie ihn mit flatternden weißen Flügeln und dem Ruf ihres traurigen Herzens zu verlassen gezwungen war.«
    »Gab es denn keine Möglichkeit, den Bann zu brechen?« »Oh, die gibt es eigentlich immer, nicht wahr?« Er hob ihre verschränkten Hände leicht an seine Lippen, küsste ihre Knöchel und zog sie weiter über den Klippenpfad dorthin,
wo das Meer zu rauschen und der Wind zu heulen begann.
    Das Licht des Mondes tauchte das hohe, wilde Gras und den dazwischen verlaufenden Pfad in ein ätherisch weiches Licht, verwandelte den Kies in kleine Silbermünzen und die verwitterten Steine in zusammengekauerte Elfen. Jude ließ sich von Aidan führen, während sie darauf wartete, dass er mit der Geschichte fortfuhr.
    »Eines Morgens lief ein junger Mann über die Felder, um zu jagen; denn er hatte Hunger und nichts als Pfeil und Bogen zur Nahrungsbeschaffung. Seit Tagen jedoch schon war er keinem Tier mehr begegnet, und auch an jenem Tag wichen Kaninchen und Hirsche ihm so lange aus, bis er am Nachmittag vor Hunger kaum weiterlaufen konnte. Dann jedoch sah er den weißen Vogel, und mit knurrendem Magen steckte er den Pfeil in seinen Bogen, zielte auf seine Beute und holte ihn vom Himmel. Pass auf, wohin du trittst, mein Schatz! Hier geht es entlang.«
    »Aber er hat sie ja wohl nicht getötet?«
    »Die Geschichte ist noch nicht zu Ende, oder?« Er drehte sich zu ihr um, um sie an seine Seite zu holen. Dann hielt er sie einen Augenblick lang einfach reglos fest, denn dazu war ihr Körper nun mal geschaffen.
    »Sie stieß einen Schrei aus, derart schmerzlich und verzweifelt, dass es ihm durch Mark und Bein ging, obgleich ihm vor Hunger bereits die Knie wackelten. Er rannte zu ihr hinüber und merkte, dass sie ihn aus Augen so blau wie zwei Seen anblickte. Seine Hände zitterten, da es Augen waren, die er kannte – und langsam begann er zu verstehen.«
    Aidan drehte Jude ein wenig, legte ihr seinen Arm um die Schultern und ging im nächtlichen Schimmer mit ihr weiter. »Obgleich er halb verhungert war, tat er, was er konnte, um die Wunde, die er ihr zugefügt hatte, zu verarzten, bettete den Vogel im Schutz der Klippen im hohen, weichen Gras, machte
ein Feuer, um das Tier zu wärmen, setzte sich neben sie, um über sie zu wachen, und wartete auf den Sonnenuntergang.«
    Als sie den höchsten Punkt des Klippenpfads erreicht hatten, schmiegte sich Aidan an sie und blickte mit ihr gemeinsam auf das dunkle Meer. Die Wellen rollten machtvoll in einem konstanten, elementaren, sinnlichen Rhythmus vor und zurück, vor und zurück.
    Da Jude inzwischen wusste, dass Aidans Geschichten ebenfalls ihrem eigenen Rhythmus folgten, griff sie stumm nach seiner Hand. »Und was passierte dann?«
    »Es geschah Folgendes: Als die Sonne unterging und die Nacht heraufzog, begannen sie beide sich zu verwandeln. Aus dem Vogel wurde eine Frau und aus dem Mann ein Wolf – nur während eines kurzen Augenblicks besaßen beide ihre ursprüngliche Gestalt. Doch ihre Hände hatten sich noch nicht berührt, schon war die Verwandlung vollständig. So verging die Nacht, doch sie war zu fiebrig und zu schwach, um sich selbst zu heilen, sodass der Wolf sie mit seinem Leib wärmte und, falls nötig, mit seinem Leben beschützen wollte. Ist dir kalt?«, fragte Aidan, als ein Schauder sie durchrann.
    »Nein«, wisperte Jude. »Ich bin einfach ergriffen.«
    »Aber das ist noch nicht alles. Die Nacht ging wieder in den Tag über, der Tag in die Nacht, und jedes Mal gab es nur den Moment, in dem sie einander in ihrer wahren Gestalt begegneten. Doch weder als Mann noch als Wolf verließ er jemals ihre Seite, um etwas zu essen, sodass er beinahe selber starb. Da sie es spürte, verwendete sie alle ihr noch verbliebene Kraft, um ihn zu stärken, ihn zu retten statt sich selbst. Denn die Liebe, die sie ihm entgegenbrachte, bedeutete ihr mehr als das eigene Leben. Wieder einmal kroch am Himmel die Dämmerung herauf und die Verwandlung setzte ein. Wieder einmal streckten sie in dem Wissen, dass es hoffnungslos sein würde, die Hände nacheinander aus. Doch dieses Mal wurde ihrer beider Opfer belohnt, indem sich
ihre Hände begegneten, einander umfassten und sie endgültig Mann und Frau blieben. Und die ersten

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