Insel des Sturms
Gier geküsst. Doch das empfahl sich unter den gegebenen Umständen wohl kaum.
Überzeugung, mahnte er sich, entsprang nicht der schnellen, lodernden Hitze, sondern einzig langsamer, stetiger Wärmezufuhr.
Lautlos schlich er durch den Raum, beugte sich zu ihr hinab und küsste sie zärtlich in den Nacken.
Jude fuhr leicht zusammen – doch damit hatte er gerechnet; lächelnd schlang er seine Arme um sie, worauf die Blumen unter ihrem Kinn und seine Lippen an ihrem Ohr lagen.
»Du bist wirklich eine Augenweide, a ghra, wie du am späten Abend noch hier sitzt und arbeitest. Und, um welche Geschichte geht es gerade?«
»Oh, ich …« Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Im Grunde hatte sie ihn nicht erwartet. Weder so früh, noch überhaupt irgendwann. Da sie so unfreundlich und rüde, ja sogar kalt auf seinen Antrag reagiert hatte, war sie davon überzeugt gewesen, durch ihr Verhalten alles, ihre ganze zarte Beziehung, für alle Zeiten ruiniert zu haben. Sie hatte fast angefangen, dieses abrupte, wenig schöne Ende der Romanze zu bedauern.
Doch hier stand er, mit Blumen in der Hand und blies ihr sanft ins Ohr.
»Es geht, äh, um die Geschichte von Paddy McNee und dem Troll, die Mr. Riley mir erzählt hat. Die Blumen sind schön, Aidan!« Da sie noch lange nicht bereit war, jemanden ihre Arbeit sehen zu lassen, klappte sie den Deckel ihres Laptops eilig zu und sog den Duft der Rosen ein.
»Ich bin froh, dass sie dir gefallen, denn ich habe sie geklaut, und sicher taucht jeden Augenblick die garda hier auf, um mich zu verhaften.«
»Dann werde ich die Kaution zahlen.« Sie drehte sich auf ihrem Stuhl um und sah ihm ins Gesicht. Er wirkte gar nicht böse, stellte sie verwirrt und gleichzeitig erleichtert fest. Ein wütender Mann konnte ganz sicher unmöglich so zärtlich lächeln. »Ich werde sie ins Wasser stellen, und dann mache ich dir einen Tee.«
Als sie sich erhob, drehte sich die halbe Portion zu ihren Füßen mit einem leisen Knurren um und rollte sich erneut zusammen.
»Als Wachhund ist er ein Versager«, stellte Aidan fest.
»Babys soll man nicht überfordern.« Auf dem Weg nach unten nahm sie ihm die Blumen aus der Hand. »Und außerdem habe ich sowieso nichts, was sich zu bewachen lohnt.«
Es war eine unbändige Freude, wieder in die alte Routine aus Nettigkeit und Flirtbereitschaft zu verfallen. Ein Teil von ihr wollte die Geschehnisse des Vorabends erwähnen, doch sie verdrängte diesen Wunsch. Weshalb sollte sie von etwas sprechen, was sie beide verlegen machen würde?
Wahrscheinlich bedauerte er längst, sie überhaupt gefragt zu haben, und war endlos erleichtert, dass sie nein gesagt hatte. Aus irgendeinem Grund blubberte bei dieser Überlegung abermals das dunkle, eklige Gebräu in ihrer Seele auf. Sie holte tief Luft und stellte die pinkfarbenen Rosen in eine blaue Flasche.
Währenddessen blickte sie auf die Uhr und runzelte die Stirn. »Es ist gerade mal zehn Uhr. Hast du den Pub heute früher zugemacht?«
»Nein, ich habe mir ein paar Stunden frei genommen. Hin und wieder steht mir etwas Freizeit zu, und obendrein hast du mir fürchterlich gefehlt.« Er umarmte sie sanft. »Schließlich bist du nicht im Pub erschienen.«
»Ich habe gearbeitet.« Wie sollte ich auf die Idee kommen, dass du mich sehen willst? Waren wir nicht noch gestern
furchtbar böse aufeinander? dachte sie verblüfft, während er sie bereits zärtlich küsste.
»Und ich habe dich in deinem Schaffensdrang unterbrochen. Aber da es nun einmal geschehen ist…« Er trat einen Schritt zurück. »Bitte geh mit mir spazieren, ja, Jude Frances?«
»Spazieren? Jetzt? Um diese Zeit?«
»Ja. Jetzt. Um diese Zeit.« Er zog sie bereits zur Tür. »Es ist eine wunderbare Nacht für einen Gang.«
»Aber es ist so dunkel«, sagte sie, stand jedoch bereits draußen.
»Es gibt Licht genug. Das Licht des Mondes und der Sterne … die schönste Beleuchtung! Ich werde dir eine Geschichte von der Feenkönigin erzählen, die für gewöhnlich nur nachts, bei Mondschein, jemals ihr Schloss verließ.«
»Denn selbst Feen können mit einem Bann belegt werden, und dieser Bann bewirkte, dass sie sich tagsüber immer in einen kleinen weißen Vogel verwandelte.«
Während sie Hand in Hand spazierten, schilderte er die einsame Feenkönigin, die allnächtlich über die Klippen wanderte und eines Nachts am Fuß der Felsen einen verwundeten schwarzen Wolf vorfand.
»Er hatte smaragdgrüne Augen, die sie argwöhnisch anblickten, aber ihr
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