Insel des Sturms
vergessen.«
»Warum streite ich überhaupt mit Ihnen herum? Sie sind nichts weiter als eine Illusion. Ein Hirngespinst. Ein Mythos.«
»So real wie du bin ich schon lange.« Er packte ihre Hand, und sein Fleisch war fest und warm. »Ich habe auf dich gewartet, und zwar dreimal hundert Jahre. Wenn ich mich in dir getäuscht habe und nochmals so lange warten muss, will ich zumindest wissen, weshalb mir ein derartiger Irrtum unterlaufen ist. Du wirst also auf der Stelle herausrücken, weshalb du den Heiratsantrag dieses Mannes abgelehnt hast.«
»Weil es nun mal mein Entschluss war.«
»Aha, weil es nun mal …« Mit einem bitteren Auflachen wandte er sich ab. »Oh, ihr Sterblichen und eure gesegneten Entschlüsse! Sie sind euch immer so entsetzlich wichtig. Aber am Ende holt euch das Schicksal trotzdem ein.«
»Vielleicht, aber bis dahin trennen uns unsere Wege.«
»Selbst wenn sie in die falsche Richtung führen.«
Sie kräuselte die Mundwinkel, als er sich ihr wieder zuwandte. Sein hübsches Gesicht war eine Studie ehrlicher Verwirrung. »Ja, selbst falsche Wege sind beinhaltet. Das liegt nun mal in unserer Natur, Carrick. Wir können es nicht ändern.«
»Liebst du ihn?« Als sie zögerte, war er an der Reihe, die Mundwinkel zu kräuseln. »Willst du dir etwa die Mühe machen, Mädchen, ein Phantom, ein Hirngespinst, einen Mythos zu belügen?«
»Nein, das will ich nicht. Ich liebe ihn.«
Stöhnend warf er seine Arme in die Luft. »Aber du willst ihm nicht angehören?«
»Ich habe keine Lust mehr, den Anforderungen von jemandem zu genügen.« Ihre Stimme wurde laut. »Falls ich je wieder einem Menschen angehören werde, dann nur jemandem,
der mir ebenfalls angehört. Und zwar ohne jede Einschränkung. Ich habe mich schon einmal einem Mann hingegeben, der mich nicht geliebt hat – aber es schien vernünftig und …«
Sie schloss ihre Augen, als sie erkannte, dass sie das, was sie gleich sagen würde, nie zuvor jemandem, nicht einmal sich selbst, eingestanden hatte. »… ich hatte Angst, sowieso nie richtig geliebt zu werden. Ich fürchtete, den Rest meines Lebens allein zu sein. Nichts erschien mir beängstigender als diese Vorstellung. Aber das hat sich geändert. Gerade lerne ich alleine zu sein, mich selbst zu mögen, den Menschen zu respektieren, der ich bin.«
»Dann bedeutet die Tatsache, dass du allein sein kannst, also, dass du es auch sein musst?«
»Nein.« Jetzt warf sie die Arme in die Luft, wirbelte herum und stapfte unruhig hin und her. »Männer«, klagte sie. »Warum stehen Männer bloß immer auf dem Schlauch. Ich muss nicht verheiratet sein, um glücklich zu sein! Und ich werde ganz bestimmt nicht das Leben, das ich gerade erst entdeckt habe, sofort wieder ändern, abermals das Risiko einer Ehe eingehen und mich jemandem an den Hals werfen, solange ich es, verdammt noch mal, nicht will. Solange ich nicht weiß, dass zur Abwechslung einmal ich selbst an erster Stelle komme. Ich, Jude Frances Murray!«
Ihre Stimme wurde lauter, und Carrick betrachtete sie nachdenklich, als sie mit einer Hand auf ihr Herz wies.
»Ich gebe mich nicht noch einmal mit weniger zufrieden als allem. Dass ich Aidan liebe, dass wir ein Verhältnis haben, bedeutet noch nicht, dass ich vor lauter Glück, weil er mir erklärt, er bräuchte eine Frau und ich hätte bei ihm das große Los gezogen, in Ohnmacht fallen muss. Nein, vielen Dank! Dieses Mal werde ich diejenige sein, die sich ihren Mann aussucht und die dementsprechenden Maßnahmen trifft!«
Völlig außer Atem und vor Aufregung erhitzt starrte sie Carrick böse an. Das, erkannte sie, war etwas, was sie bisher niemals in Worte gekleidet hatte. Von dem sie nicht gewusst hatte, dass es in ihr war und einzig darauf wartete, endlich formuliert zu werden. Nie, nie wieder gäbe sie sich mit weniger zufrieden als mit allem! Das wusste sie mit einem Mal haargenau.
»Bisher dachte ich, dass ich die Menschen nicht verstehe«, sagte Carrick nach einem Moment. »Aber jetzt denke ich, dass ich nur die Frauen nicht verstehe. Also erklär mir die Sache doch bitte im Einzelnen, Jude Frances. Weshalb reicht Liebe dir nicht?«
Leise seufzte sie auf. »Die Liebe als solche reicht mir völlig.«
»Weshalb sprichst du in Rätseln?«
»Weil es nichts nützen würde, diese Sache breitzutreten, solange Sie sie nicht von selbst verstehen. Und sollten Sie sie doch verstehen, muss sie nicht mehr erklärt werden.«
Er murmelte etwas auf Gälisch und schüttelte den Kopf.
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