Insel des Sturms
eine Therapie sein soll, dann muss sie eben erledigt werden. Ganz sicher wird sie mir nicht schaden. Ich denke – nein, ich hoffe –, dass sie mir in irgendeiner Weise hilft. Das Schreiben zieht mich an. Das ist etwas seltsam formuliert, trifft es aber genau. Das Geheimnis der Schreibkunst, die Art und Weise, wie sich die Worte auf einer Seite zu einem Bild oder einem Sinn zusammenfügen, wie sie miteinander harmonieren, zieht mich magisch an.
Meine eigenen Worte auf der Seite zu entdecken, empfinde ich als aufregend. Ich empfinde eine wunderbare Art von Hochmut, wenn ich sie lese und weiß, dass ich sie formuliert habe. Zum Teil macht mir das Schreiben, weil es so unglaublich spannend ist, allerdings auch Angst. Ich habe mich so lange von allem abgewandt, vor allem versteckt, was mir Angst macht… selbst wenn es gleichzeitig meine Stimmung hob.
Ich will mich wieder wahrnehmen, denn ich sehne mich nach neuem Selbstvertrauen. Und ich möchte mir und aller Welt offen eingestehen, dass ich eine tiefe, leider viel zu lange unterdrückte Freude an allem Fantastischen empfinde. Weshalb und von wem ich unterdrückt wurde, ist im Grunde vollkommen egal. Hauptsache, ich weiß, dass der Funke dieser Freude immer noch in der Tiefe meiner Seele glüht. Und zwar kräftig genug, dass es mir möglich ist – wenn auch nur verstohlen, für mich selbst – zu schreiben … dass ich an die Legenden, die Mythen, die Feen und die Geister in all den Geschichten glaube. Was ist daran schlimm? Es wird mir gut tun!
Sicherlich, dachte sie, lehnte sich erneut zurück und legte ihre Hände in den Schoß. Keinesfalls wird es mir schaden. Dieses Vernügen ruft Fragen und Träume in mir wach. Es ist schon viel zu lange her, dass ich zum letzten Mal geträumt habe.
Vorsichtig atmete sie aus, schloss die Augen und empfand nichts als die Süße der Erleichterung. »Gut, dass ich hierher gekommen bin«, sagte sie laut, stand auf, trat an das kleine Fenster, blickte in den Garten und war froh darüber, die drohende Verzweiflung durch das Schreiben abgewehrt zu haben. Ihre Tage und auch ihre Nächte hier in diesem Cottage dämpften den inneren Aufruhr, den sie seit Monaten so mühsam unterdrückte. Die vielen Momente der Freude, die sie hier erlebte, waren ein kostbares Geschenk.
Sie wandte sich vom Fenster ab, um an die frische Luft zu gehen. Dort würde sie über die anderen Aspekte ihres neuen Lebens nachdenken.
Zum Beispiel über Aidan Gallagher, prachtvoll, irgendwie exotisch und aus unerfindlichen Gründen an der grundsoliden, stets vernünftigen Jude F. Murray interessiert.
Vielleicht war die Zeit, die sie mit Aidan zubrachte, nicht ganz unproblematisch, gab sie zu, obgleich sie sorgsam darauf achtete, es immer so zu arrangieren, dass sie wenig mit ihm alleine war. Doch der Mangel an Ungestörtheit hielt ihn nicht davon ab, mit ihr zu flirten, sie mit den sehnsüchtigen Blicken zu bedenken, mit dem verstohlenen Lächeln oder der heimlichen Berührung ihres Armes, ihrer Wange, ihres Haars – all den Dingen, von denen er während ihres Spaziergangs geschwärmt hatte.
Doch war das verboten?, fragte sie sich, während sie einen frischen Blumenstrauß über den Hügel zum Grab der alten Maude brachte. Jede Frau hatte mal das Recht auf einen kleinen Flirt. Vielleicht erblühte sie, anders als die Blumen, die sie trug, langsam und sehr zögerlich – doch besser spät als nie!
Und erblühen wollte sie unbedingt. Der Gedanke kam ihr ebenso aufregend und beängstigend wie das Schreiben vor.
War es nicht wunderbar zu entdecken, dass es ihr gefiel,
wenn jemand mit ihr flirtete, wenn jemand sie ansah, als wäre sie hübsch und obendrein begehrenswert? Um Himmels willen, wenn sie tatsächlich sechs Monate in Irland bliebe, wäre sie bei ihrer Rückkehr dreißig; also wurde es ja wohl allerhöchste Zeit, dass sie sich endlich einmal attraktiv fühlte.
Ihr eigener Ehemann hatte nie mit ihr geflirtet. Und wenn sie sich recht erinnerte, war sein größtes Kompliment zu ihrem Aussehen die Feststellung gewesen, sie sähe wirklich nett aus.
»Eine Frau will nicht gesagt bekommen, sie sähe wirklich nett aus«, murmelte Jude, als sie sich neben das Grab der alten Maude kniete. »Sie will hören, dass sie wunderschön und sexy ist. Dass sie fantastisch aussieht. Selbst wenn es eine Lüge ist.« Seufzend legte sie die Blumen auf den Grabstein. »Denn in dem Augenblick, in dem diese Worte gesagt und gehört werden, können sie immerhin wahr
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