Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)
später nach Hause kommen würde, würde die Sonne jeden Schritt zu einer Qual machen. Wenigstens stand die Bank an der Haltestelle im Schatten unter einem großen Banyanbaum.
Sie wartete allein und beobachtete die Autos, die mit offenem Verdeck und aufgedrehten Radios vorbeisausten. Nur wenige Menschen nutzten in Palmetto Grove den Bus, und deshalb fuhr er auch nur selten. Die Leute hingen nicht halb aus den offenen Türen oder bedrängten und schubsten ihre Mitfahrer wie zu Hause in Indien. Janya bekam immer einen Sitzplatz. Nie lehnte sich jemand an sie, und auch Kleinkinder zupften nicht an ihren Kleidern herum.
Wenn der Bus sie schon nicht an ihre Heimat erinnerte, so tat es der Banyanbaum. Der Banyanbaum war Indiens Nationalbaum, und das Wort stammte aus der Sprache Gujarati. Sie erinnerte sich noch gut an einen vedischen Text, den sie in der Schule gelernt hatte, auch wenn sie ihn inzwischen nicht mehr in Sanskrit wiedergeben konnte.
An der Wurzel wie Brahma, in der Mitte wie Vishnu und oben wie Shiva geformt, grüßen wir dich, König aller Bäume.
Im Juni gab es einen Tag, an dem die Frauen fasten, zum Banyanbaum beten und ihn bitten konnten, bei jeder Wiedergeburt denselben Ehemann geschenkt zu bekommen. Bis zum Juni war es nicht mehr lange hin. Doch das war ein Ritual, an dem Janya sicherlich nicht teilnehmen würde. Weder jetzt noch in Zukunft.
Der Banyanbaum war vor fast einem Jahrhundert vom Erfinder Thomas Edison nach Florida gebracht worden. Das hatte Rishi Janya erst gestern erzählt. Sie hatten einen Ausflug nach Fort Myers gemacht, der Janya ihre neue Heimat näherbringen sollte. Ihr Ehemann liebte solch sonderbare Details, liebte Fakten und Informationen, die er einteilen und in seinem Hirn, das wie ein Computer arbeitete, abspeichern konnte. Seine Begeisterung für diese Nichtigkeiten bereitete ihr Kopfschmerzen.
Sie ermahnte sich, nicht über Rishi oder ihre Ehe nachzudenken. Diese kurzen Momente der Freiheit waren selten genug, und sie wollte sie genießen. Sie wollte zumindest so tun, als wäre sie wie alle anderen und so gut wie glücklich mit ihrem Schicksal.
Der Bus kam pünktlich, und wie immer erschien es ihr beinahe wie ein Wunder. Schnell kletterte sie in den Bus, in der Angst, dass er wegfahren könnte, während sie noch verdutzt den Kopf schüttelte.
Es war eine kurze Fahrt. Palmetto Grove war eine friedliche, ruhige Stadt, klein, mit sehr viel Smaragdgrün und einigen für die Karibik typischen bunten Farbklecksen. Die Autofahrer benutzten nur selten die Hupe, und die Fußgänger waren sicher, wenn sie die Straßen überquerten. In dem kleinen Stadtzentrum, das nur einige Blocks vom Golf entfernt war, befanden sich Läden, Videotheken, Restaurants mit hübschen Sonnenterrassen und Geschäfte mit Eisenwaren, Autoteilen oder Hochzeitstorten. Die Bürgersteige glitzerten im Sonnenlicht. Frauen aller Altersstufen, mit kurzen Hosen oder Sommerkleidern, spazierten Arm in Arm mit braun gebrannten Männern mit Sonnenbrillen durch die Stadt.
In die Stadt zu fahren weckte in Janya jedes Mal ein solches Heimweh, dass sie es kaum aushalten konnte. Nicht weil Palmetto Grove wie Mulund ausgesehen hätte, der kleine Vorort von Mumbai, in dem sie aufgewachsen war. Sondern weil es hier eben nicht so aussah. Hier war alles so leicht, so vernünftig, so höflich, so ganz anders. Sie hatte Indien nie verlassen wollen. Anders als viele Angehörige der Oberschicht, die ihre Zukunft an anderen Orten dieser Welt gesehen hatten, hatte sie ihre immer dort gesehen, wo sie geboren worden war. Jetzt fragte sie sich, ob sie jemals wieder nach Hause zurückkehren würde.
In der vergangenen Nacht hatte sie, um ihr Heimweh zu lindern, eine Liste mit Dingen gemacht, die sie erledigen wollte, wenn sie aus dem Bus stieg. Zuerst wollte sie ihre Adressdaten der kleinen Bücherei in der Innenstadt geben, damit sie sich Bücher ausleihen konnte. Dann wollte sie den kleinen Spezialitätenhändler aufsuchen, in dessen Laden unterschiedliche Linsen, Gewürze, Hummus und frisches Pitabrot für die Zugezogenen aus dem Nahen Osten, Jerk -Gewürz für die Jamaikaner und Bananenchips und tropische Säfte für die Kubaner angeboten wurden. Und schließlich wollte sie sich das Freizeitzentrum anschauen.
Als Teil seiner Aktion, sie glücklich zu machen, hatte Rishi ihr von dem Zentrum erzählt. Es gäbe dort Kurse, hatte er gesagt, und für jeden, der in Palmetto Grove lebe, wäre etwas dabei. Die Kursgebühren seien
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