Insel meiner Sehnsucht Roman
Rauch umher, teilte sich, um reglose Gestalten am Boden zu enthüllen. Kassandras Kehle verengte sich, und sie konnte kaum noch atmen. Immer mehr Tote … Sie dürfte nicht hinschauen – wollte die Gesichter nicht sehen – denn sie würde sie erkennen. Atreus, Alex, ihre geliebten Brüder – tot. Ihre Vettern und Onkel, all die Männer in ihrer Familie. Und so viele andere Leichen
- Jungen und Mädchen, Frauen … Erfolglos hatten sie für
das Land gekämpft, das sie liebten. » Nein! « Plötzlich veränderte sich die Szenerie, und sie wurde mit halsbrecherischer Geschwindigkeit einen anderen Weg entlanggeschleudert, in eine andere Möglichkeit. Sie sah die schimmernde Stadt Ilius in friedlichen Zeiten, die unverletzte Familie und sich selbst. Als sie einen Hang zu einem Ort hinaufstieg, den sie kannte, tauchte ein Mann aus der Erdentiefe auf. Deilos! Bösartig grinste er sie an. Wilde Mordlust in den Augen, kam er auf sie zu. Doch sie war bereit, denn sie wusste, was sie tun musste. Für Akora, für alle Menschen, die sie liebte, für die Zukunft. In ihrer Hand spürte sie den kühlen Griff des Messers, fühlte eine unbesiegbare Kraft in ihrem Herzen, als sie den Mann er stach, der alles vernichten wollte, was ihr teuer war. Und sie nahm auch den Schmerz des Stahls wahr, den er in ihre Brust bohrte – die letzte Tat, bevor er starb. Dann schaute sie hinab und sah ihr Blut fließen. Diesen Preis bezahlte sie für Akoras Rettung.
Die Fessel der grausigen Szene lockerte sich. Schluchzend sank Kassandra hinab …
Und wurde aufgefangen – von starken Armen an eine harte Brust gepresst, in die Gegenwart zurückgezerrt …
»Verdammt, wie konnte Alex das zulassen?«
Royce.
Erleichtert seufzte sie auf. Sie wurde beschützt, musste sich nicht fürchten oder kämpfen oder irgendetwas anderes tun, als sich mit aller Macht an ihn zu klammern. Ganz behutsam sank er mit ihr zu Boden, streichelte ihr zerzaustes Haar, flüsterte zärtliche Worte, die sie vollends in die Wirklichkeit zurückholten.
Nachdem sich die Nebel in ihrem Gehirn aufgelöst hatten, schaute sie ihn an. »Es geht mir gut, wirklich.«
Sogar in ihren eigenen Ohren klang ihre Stimme fremd, eine Stimme aus weiter Ferne.
»Niemals hätte Alex dir erlauben dürfen …«
»Mach ihm keine Vorwürfe. Es war meine Entscheidung, nicht seine, denn ich musste mir einfach Gewissheit verschaffen.«
»Perceval …«
Mühsam brachte sie heraus: »Sein Tod hat nichts geändert, zumindest nicht für Akora.«
Royce schwieg und drückte sie noch fester an sich. Langsam richtete sie sich auf. Ihr Blick schweifte durch das Kinderzimmer.
»Royce, warum habe ich nie zuvor erkannt, wie gut sich ein Raum, den ein junger Mensch bewohnen wird, für Zukunftsvisionen eignet?«
Das Kinn auf ihrem Scheitel, sagte er leise: »Du hast geweint.«
»Ja …« Sie umfasste seine Arme, immer noch von verzweifelter Sehnsucht nach seiner Kraft erfüllt. »Was ich sah, darf nicht geschehen. Es muss verhindert werden, was es auch kosten mag.« Sie rückte ein wenig von ihm ab und schaute in seine Augen. »Dafür ist kein Preis zu hoch.«
»Es ist nur eine mögliche Zukunft«, erinnerte er sie.
Um ihn zu schonen, widersprach sie nicht. »Gewiss, nur eine mögliche Zukunft. Bitte, hilf mir, aufzustehen.«
Diesen Wunsch erfüllte er, doch er ließ sie nicht los. Seine Stimme nahm einen schroffen Klang an. »Sicher willst du Alex davon erzählen.«
»Sei ihm nicht böse, es war nicht seine Schuld.«
»Ist es immer so schmerzhaft und beängstigend?«
»Nein, nicht immer. Manchmal habe ich erfreuliche Visionen.«
Besänftigend lächelte sie ihn an. »Zum Beispiel sah ich Amelia vor ein paar Monaten, als ich von Joannas Schwangerschaft erfahren hatte. Sie wird ihre Eltern ganz schön auf Trab halten.«
Nun entspannte er sich ein wenig. »Das glaube ich auch. Auf Hawkforte haben schon viele eigenwillige Frauen gelebt.«
»Dazu wird sie gehören.« Kassandra genoss seine Nähe. Wenn dieser Augenblick doch niemals enden würde … »Du liebst Hawkforte sehr, nicht wahr?«
»Natürlich, es ist ein Teil von mir. Genau weiß ich nicht, was das bedeutet. Aber ich habe das Gefühl, ich wäre schon vor meiner Geburt dort gewesen und ich würde auch nach meinem Tod in diesen alten Mauern bleiben.«
»Auf dieser Welt gibt es nur wenige solcher Orte.«
»Zählt Akora dazu – für dich?«
»In gewisser Weise.« Mehr wollte sie ihm nicht verraten, nichts erzählen von der seltsamen
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